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Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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wenn
niemand im Palast darüber sprach, sickerte doch schnell
durch, was die Folgen des schrecklichen Unfalls mit dem
Aufzug des Emirs gewesen waren. Der abstürzende Korb
hatte bei seinem Aufprall dem Haqawati auf der Stelle das
Genick gebrochen, während der dicke Mustafa zwar mit
dem Leben davongekommen, aber nun hüftabwärts
gelähmt war, so daß man ihn tragen oder auf einem
Wägelchen rollen mußte. Es hieß, der Emir habe ihn der
Pflege der Ma’Moa anvertraut, schließlich erfüllte er jetzt
ja die Auflagen, die an einen zu stellen waren, der den
Harem betreten durfte. Es wurde noch vieles andere über
den Hergang des Unglücks gemunkelt, aber da Kazar AlMansur nicht von sich aus darauf zu sprechen kam, ließ
Rik es ebenfalls dabei bewenden. Doch sorgte er
umsichtig und entgegenkommend dafür, daß die Laune
des Emirs sich nicht noch dadurch verschlechterte, daß er
Melusine aus den Augen verlor. Rik sah sich durch ein
längeres Gespräch mit Blanche in die Lage versetzt, Kazar
Al-Mansur diesen Gefallen zu erweisen.

Die Vision des Hirtenjungen
Bericht des Mohren
    Melusine verbringt ihre erste Nacht im Freien unter
Gleichgesinnten. Sie hat Étienne, den kleinen Dieb, und
seine warmherzige Gefährtin Blanche kennengelernt, die
ihr karges Mahl mit dem Fräulein de Cailhac teilen.
Étienne steuert dazu den Meßwein bei, denn sein
wachsamer Bruder Daniel hat seinen Platz am Altar
verlassen, um den Monsignore de Rochefort auf einer
besonderen ›Mission‹ zu begleiten. Sie kauen genüßlich
die harten Pferdewürstchen, die Blanche sich bei einem
gutmütigen Metzger verdient hat, nebst einem Stück fetten
Specks, der aber für die bevorstehende Reise aufgehoben
wird.
    »Was treibt so eine wie dich –.« wendet sich Étienne mit
vollem Mund an Melusine, »dir solche Mühsal anzutun,
wie sie uns jetzt bevorsteht?«
    »Vielleicht hat sich Melusine in Stephan verliebt –?«
Mit der Frage scheint die sanfte Blanche sich schützend
    vor die feine Fremde zu stellen, dabei bebt sie vor Angst,
es könnte tatsächlich so sein. Denn sie ist selbst wild
entschlossen, ihr großes Herz dem begnadeten Seher zu
Füßen zu legen.
    »Wo denkst du hin?« antwortet Melusine der kindlichen
Hure heiter und spült mit einem Schluck sauren Meßwein
das letzte Stückchen Wurst hinunter. »Ohne mich wäre
dieser Hirtenknabe heute noch bei seinen Schafen«, lacht
sie, »und würde ihnen seine Visionen auf die dummen
Nasen binden.«
    Blanche schaut die Frivole entsetzt an, dann wendet sie
sich traurig ab, so daß Étienne eingreift: »Es ist aber so,
daß Stephan seinen Weg gemacht hat, er hat vor dem
König gepredigt – und du sitzt hier auf kaltem Stein und
teilst unser karges Mahl – seinetwegen!«
    Betroffen schweigt Melusine. Es macht keinen Sinn den
beiden von dem blonden Ritter zu erzählen, den sie
wiederzufinden hofft – da ist sie, wenn sie es genau
bedenkt, auch nicht viel gescheiter als alle, die dem
Hirtenknaben folgen. Sie umarmt Blanche. »Gewiß ist
Stephan unserer Liebe wert«, flüstert Melusine wider
besseres Wissen, »so wie er vom Heiland geliebt wird.«
    Rik hätte gerne die nun anstehenden Stunden auf dem
Schloß Rochefort übersprungen. Die Erinnerungen waren
ihm peinlich, doch Daniel und Timdal bestanden darauf –
dem Emir zum Trotz! –, Melusine und Paris schnellstens
wieder zu verlassen und sich in die Kemenate der
rothaarigen Marie zu stürzen. Rik beschloß, es mit
zusammengebissenen Zähnen über sich ergehen zu lassen.

Die Nacht von Rochefort
Bericht Daniels und des Mohren
    Auf der Burg Rochefort hat Marie das Beste aus Küche
und Keller auftragen lassen, getrüffelte Pasteten aus der
Leber von gestopften Gänsen und Fasanen, ofenwarmes
Weizenbrot, köstlichen Weichkäse des Landes, der
duftend dahinschmilzt – und vor allem reichlich Wein von
prickelnder Herbheit. Das müßte reichen, den kräftigen
Deutschen – oder am besten alle beide! – in die rechte
Laune zu versetzen, die sich dann in der Kemenate
austoben soll. Doch die Freunde tafeln noch nach
Herzenslust, als zu Maries größtem Verdruß Timdal, ihr
Mohr, die Ankunft ihres Bruders Gilbert vermeldet. Der
Inquisitor hat die nächtliche Fahrt nicht gescheut, denn
ihm liegt daran, seinen jugendlichen Begleiter Daniel so
schnell wie möglich nach Deutschland zu schaffen.
Aufgekratzt nimmt der energische Monsignore an der
gedeckten Tafel Platz, den schüchternen Daniel

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