Das Kreuz der Kinder
Fallgitter vor dem Reiter wieder
hochgewunden, und – ohne daß er oder sein Reittier sich
von dem Verfahren beeindruckt zeigten – setzen sie ihren
Weg fort.
›Irmgard von Styrum!‹ schoß es Rik durch den Kopf,
und er wußte nicht, ob er sich freuen oder ärgern sollte.
»Die Gefährtin des Zahi Ibrahim aus Tunis!« informierte
er den Emir kühl.
»Ich dachte«, stammelte Kazar Al-Mansur verwirrt, »es
sei ein Mann –?«
»Für das hält sich Irm nur all zu gern!« spottete Rik, die
Irritation des Freundes steigernd. »Nennt sie ›Armin‹,
dann erblüht ihr zartes Herz zwischen den starken
Knochen.«
Sie stiegen die Außentreppe hinab, um den Gast am
Ende des Torgangs in Empfang zu nehmen.
aus der Niederschrift von Mahdia
Niklas der Scharer
Bericht der Irmgard von Styrum
In der Eifel, einer rauhen Hügellandschaft, die nichts von
der Heiterkeit der Flußtäler von Rhein und Mosel mitbekommen hat, geschweige denn von der Lieblichkeit der
im Südwesten angrenzenden französischen Champagne,
lebt auf ihrer düsteren Burg Styrum die einzige Tochter
des Burgherrn mit Namen Irmgard. Ihre Mutter ist bei
ihrer Geburt gestorben, der heißgeliebte Vater im Jahr
zuvor beim unsinnigen Kampf um Trifels von einer
Übermacht an Feinden erschlagen worden. Irm hat schon
als kleines Mädchen so werden wollen wie er, so
beschließt sie jetzt – obgleich im heiratsfähigen Alter –,
ihren Mann zu stehen. Sie nennt sich ›Armin‹ und
erstreitet gegenüber der Verwandtschaft, daß Styrum ihr
allein zugesprochen wird. Ob Vettern oder Freier, sie
weist jeden Versuch einer Annäherung zurück. Wer’s
nicht glauben will, holt sich eine blutige Nase, nicht selten
von Irms eigener Hand.
In dem Weiler zu Füßen des Felskegels mit der Burg
Styrum hausen in bitterer Armut Köhler und Hirten,
Holzfäller und die Familien derer, die sich als Treidler an
Rhein und Mosel und einmal im Jahr zur Weinlese an den
steilen Hängen verdingen. Aus Köln, der Stadt des
Erzbischofs, ist mit seinem kranken Weib ein Hufschmied
hergezogen, der sich bei den Juden verschuldet und sich
als Kesselflicker durchschlagen muß, ein grobschlächtiger
Kerl, der seinen Zorn an seinem einzigen Kind ausläßt,
dem Knaben Niklas. So lernt dieser früh, sich tagsüber in
Schobern zu verstecken und all die zu hassen, die am
Unglück schuld sind, und tut dies allabendlich in den
erbärmlichen Tavernen kund, wo die Männer den kargen
Lohn ihres Frondienstes versaufen, bevor sie
heimschleichen und ihre Frauen grün und blau prügeln.
Schnell hat Niklas herausgefunden, daß er ihnen mit
seinen Haßtiraden derart aus der Seele schreit, geifert und
hustet, daß sie ihn jedesmal, wenn er erscheint, gern
freihalten, ja geradezu auf sein Kommen warten. Niklas
kann von seinen Auftritten durchaus sein Herumlungern
fristen, er gewinnt eine regelrechte Anhängerschaft.
Das Fräulein ›Armin‹ von Styrum weiß von seinen
Knechten, daß der ›Scharer‹ – so nennen sie ihn, weil er
sie wie ein Gefolge um sich schart – einmal die Woche
den ›Schwarzen Bock von Beweyl‹ aufsucht und dort
seine Hetzreden schwingt. Als Mann verkleidet läuft die
Styrum ohnehin herum, und betrunkene Männer fürchtet
sie schon gar nicht – so reitet ›Armin‹ eines Abends mit
den Leibburschen und dem alten Waffenmeister hinab und
mischt sich unauffällig unter die grölenden, meist
jugendlichen Zuhörer in der finsteren Taverne.
Niklas, ein schmächtiges, hohlwangiges Bürschlein,
spuckt gerade Gift und Galle gegen die fette Geistlichkeit
des Erzbistums, die mit ihren breiten Ärschen das Letzte
aus den Armen herausquetscht und dafür mit schönen
Worten das Himmelreich verspricht, gegen den
räuberischen Landadel, der für seine Fehden die Männer
knechtet, ob jung oder alt, zum Waffendienst preßt, in
sinnlosem Gemetzel verbluten läßt, die Töchter schändet
und die Hütten über dem Kopf der Armen anzündet. Das
müsse anders werden, das sollten sich die Jungen nicht
länger gefallen lassen! Niklas läßt sich den Krug reichen,
um seine rauhe Kehle anzufeuchten, schiebt auch eine
angebotene Wurst hinterher, um mit vollem Mund
fortzufahren. »Rennt nicht gegen die Mauern der
Mächtigen an, aber verweigert euch der Fron, den
Steuereintreibern, den Priestern! Geht in die Wälder –
schlechter als hier und heute kann es euch dort auch nicht
ergehen! Als frei umherschweifende Haufen nährt euch
von den Feldern, als
Weitere Kostenlose Bücher