Das Kreuz der Kinder
fristlos
entlassen!«
»Das hätte ich an seiner Stelle auch getan!«
Rik verneigte sich mit steinerner Miene vor Kazar und
schritt zurück zur Wendeltreppe.
aus der Niederschrift von Mahdia
Die Saat geht auf
Bericht des Daniel
Erst in Koblenz gelingt es Daniel, die Gesuchten
einzuholen. Freiwillige Helfer haben für Niklas und sein
ständig anschwellendes Gefolge Flöße gezimmert. Auf
denen haben sie sich die Mosel abwärts treiben lassen und
sind so bis zum Rhein gelangt. Mit ihnen ist auch das
Gerücht an den mächtigen Strom gelangt, das Reisende
aus Frankreich verbreiten, dort hätten sich Tausende von
Knaben und Mädchen aufgemacht, ins Heilige Land zu
ziehen, um Jerusalem für die Christenheit
wiederzugewinnen. Man spricht von einem Hirtenknaben
namens Stephan, der zu Paris dem König diesen Zug
abgetrotzt und die Macht habe, das Meer zu teilen, so daß
sie alle trockenen Fußes ihr Ziel erreichen könnten. Es
scheint für Daniel fast unmöglich, bis zu Niklas
vorzudringen, denn inzwischen bildet eine Leibgarde von
Raufbolden, die Karl Ripke untersteht, einen dichten
Kordon um den ›Scharer‹, was auch nötig ist, denn seine
Anhänger drängeln sich danach, ihm die Hände zu
schütteln oder ihn wenigstens einmal zu berühren. Daniel
fährt mit seiner Kutsche einfach vor dem mit Fähnlein und
allerlei Symbolen geschmückten Zelt vor, das die
Gardisten ihrem Herrn errichtet haben, und verlangt,
Niklas unter vier Augen zu sprechen. Karl Ripke verwehrt
dem in eine viel zu weite Soutane gekleideten ›Legatus
Domini‹ zwar nicht den Zutritt, besteht aber darauf, bei
dieser – wie bei jeder – Unterredung anwesend zu sein,
schon zum Schutz vor Attentaten oder Affekthandlungen
überhitzter Anhänger! Daniel lobt den groben Kerl für
seine Umsicht und wendet sich an Niklas, der auf einem
erhöhten Thronsessel hockt und so tut, als könne er in der
aufgeschlagenen Bibel lesen.
»Ich habe Euch im ›Schwarzen Bock von Beweyl‹
gehört«, sagt er mit gewisser Strenge, »und ich muß Euch
sagen, das reicht bei weitem nicht!«
Daniel läßt die Worte wirken, bevor er unnachgiebig
fortfährt. »Ihr habt die Feinde des Heilands zwar
ausgemacht, ihre Untaten angeprangert, aber dabei
schmählich versäumt, dem Volk den Weg zu weisen, den
es gehen muß, um das verlorene Paradies
zurückzugewinnen!«
Karl Ripke plustert sich auf. »Als erstes zerstören wir
alles, was sich uns störend in den Weg stellt, Priester!«
grollt er. »Vernichten dann jene, die uns das Paradies auf
Erden gestohlen haben, die Juden, die Sarazenen, die
schismatischen Byzantiner, die Heiden, die Ketzer!«
»Sie sind überall!« segnet Niklas die Worte seines
obersten Leibwächters ab und klappt das Buch zu. »Wir
wissen gar nicht, wo wir zuerst anfangen sollen, mit Feuer
und Schwert –.«
»Alle ausräuchern!« pflichtet ihm Karl Ripke bei, doch
Daniel geht darauf nur insofern ein, daß er anflicht: »Der
Gestank und beizende Rauch könnte Euch den Duft des
Paradieses vergällen!«
Er läßt von dem tumben Hünen ab und hält sich an
Niklas. »Die Anhänger, die Ihr bis heute um Euch
geschart, mögen in die Hunderte gehen, auch gehen sie für
Euch durchs Feuer –.«
Niklas dankt es ihm mit einem geschmeichelten Lächeln,
Daniel setzt zum großen Wurf an. »Das Volk, das Euch
morgen folgen wird, wird viele Tausende zählen und wird
bereit sein, mit Euch über das Meer zu ziehen, wenn’s sein
muß auch barfuß!«
Diese Vorstellung gefällt Niklas ungemein,
unwillkürlich wirft er sich in die Brust – auch Karl Ripke
reckt den Kinnladen vorwärts, sieht sich als Feldherr.
Daniel hat den Bischöfen und Prälaten in Saint-Denis
viel abgeschaut, vor allem das immer wirksame
Wechselbad zwischen lauwarmer Glückseligkeit und der
Glut des Feuerofens der Verdammnis. »Doch sie alle
werden keinen einzigen Schritt tun, nicht den kleinen
Finger rühren, wenn Ihr ihnen kein Ziel vorgebt: ein Ziel,
so überwältigend wie ihre Anzahl, so steinig wie der Weg,
den sie gehen müssen, so klebrig verlockend wie ihre
Träume!«
Niklas ist erregt aufgesprungen und will Daniel
umarmen, doch der gibt sich unnahbar wie der Erzengel
mit dem Flammenschwert, also fährt Niklas den
glatzköpfigen Muskelberg an: »Beugt Euer Knie, mein
Herr Obrist!«, was der auch unbeholfen tut, in
Stellvertretung für seinen Herrn. »Segnet uns!« beschwört
der Sohn des Kesselflickers glühenden Auges den
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