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Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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›Legatus Domini‹. »Heftet Gottes heiligen Willen an
unsere Fahnen, und wir werden Jesus Christus zum Sieg
verhelfen über Heiden, Juden und Saraz…«
    »Die Verheißung des Paradieses gilt für alle Menschen
rechten Glaubens, so wie sie sich in der ecclesia catholica vereinigt finden«, windet sich Daniel aus der Schlinge,
sich priesterliches Vorrecht angemaßt zu haben. »Laßt uns
gemeinsam nach Köln pilgern zum Altar der Heiligen Drei
Könige. Dort sollt Ihr die deutsche Jugend aufrufen, so
wie es unser Herr Jesus Christus schon mit Frankreichs
Kindern bewirkte –.«
    Daniel gerät jetzt selbst in Emphase. »Der Glaube
versetzt Berge!« ruft er laut. »Ihr werdet den Zug Eurer
Anhänger triumphal über die Alpen führen, wie über
grüne Hügel, denn dahinter dehnt sich das Land, wo Milch
und Honig fließt!«
    Karl Ripke springt taumelnd auf und stürzt zur Zelttür.
»Macht die Flöße fertig zum Ablegen!« befiehlt er, dann
hält er die Plane hoch, damit Niklas sich seinem Volk
zeigen kann; leicht versetzt hinter ihm schreitet Daniel,
der ehemalige Meßdiener von Saint-Denis.
    In den engen Gassen, die vom Rheinufer hinaufführen
zum Kölner Dom, rennen, stolpern und hasten die sonst
vor den Portalen herumlungernden Bettler hinab zur
Anlegestelle der Schiffer und Flößer: Die Nachricht von
der Ankunft des ›Scharers‹ ist Niklas vorausgeeilt, dafür
haben Karl Ripke und seine Gardisten gesorgt, die auf
dem Rücken ihrer meist gestohlenen Pferde die Uferstraße
hinaufgeprescht sind, um den Empfang vorzubereiten.
Viele, meist jüngere Sprößlinge der Burgen, die über dem
tief eingeschnittenen Flußtal liegen, sind eiligst
herabgekommen und haben sich der Kavalkade
angeschlossen. Doch ebenso viele vermögen weder zu
reiten noch zu rennen, das sind die zahllosen Krüppel, die
jetzt auf Krücken, auf Brettern geschleift, kriechend und
humpelnd aus allen Quartieren der Altstadt sich zum
Hafen hin bewegen, eine graubraune Masse des Elends,
des Ekels für die wohlhabenden Bürger, die ihrem
Gesinde, den Ladenschwengeln und Lastenträgern
sogleich verboten, sich diesem ›Scharer‹ anzuschließen,
bevor die Herren vom hohen Domkapitel dazu Stellung
genommen hätten. Dessen Wachen riegeln auch sofort den
Dom mit seinem kostbaren Schrein der ›Heiligen Drei
Könige‹ und dem ›Gerokreuz‹ ab, damit die kostbaren
Reliquien nicht zu Schaden kommen und vor allem die
angehäuften Schätze nicht Opfer von Aufruhr und Raub
werden. Im übrigen ist dem amtierenden Domprobst – der
alte Erzbischof Dietrich war im Frühjahr gestorben – das
plötzliche Verschwinden des streunenden Packs nur recht,
es scheißt und pinkelt nicht nur in jeden Winkel, sondern
bestiehlt auch die frommen Pilger, wenn es nicht gar die
Opferstöcke selbst entleert. Unter denen, die sich mit von
der Not erzwungenen Verspätung mühselig zum Fluß
schleppen, befinden sich auch der einbeinige Krüppel
Randulf, der sich auf seine Schwester Dörte stützt. Das
Mädchen ist blind geboren. Randulf hat seinen linken
Unterschenkel verloren, als ein eisenbeschlagenes
Karrenrad über ihn – ohne innezuhalten – gefahren war.
So sind die beiden seit Kindesbeinen aufeinander
angewiesen. Sie leben vom Betteln, wenngleich man
munkelt, sie entstammten einem guten Haus, seien aber
aufgrund ihrer Gebrechen von der Familie verstoßen
worden. Diesmal haben sie Glück. Daniel, der Legatus
und inzwischen auch der unentbehrliche Secretarius des
Scharers, fischt sie aus dem Haufen derer, die sich zu
Füßen der eilends errichteten Holzempore niedergelassen
haben und befiehlt ihnen, hinaufzukommen und sich auf
die Stufen des Thrones zu hocken, auf dem Niklas selber
sitzt. Als sie Schwierigkeiten haben, das Gerüst zu
besteigen, weist Daniel die Gardisten an, sie
hinaufzuheben, was diese mit Widerwillen tun. Daniel
führt diese Geste ganz bewußt aus, liegt ihm doch daran,
ein sichtbares Gegengewicht zu dem ›Obristen‹ Karl
Ripke und dessen Leuten zu schaffen, die nur nach außen
über die Unversehrtheit des Niklas wachen, in Wahrheit
ihn aber für ihre kruden Ideen einzuspannen gedenken und
daher gern von anderen Einflüssen abschirmen.
    Der überzeugendste Kontrast zu diesen kraftstrotzenden
Gardisten erscheint dem Legatus das Bild des armen
Lazarus, ein Banner des Mitleids und der Fürsorge für die
Schwachen. Er fordert Randulf sogar auf, noch andere
Leidensgefährten zu benennen, die

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