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Das Kreuz der Kinder

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Titel: Das Kreuz der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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von diesem
›Wahrheitsspiel‹ gehört, hütete sich aber, dies zuzugeben.
»Von mir aus«, sagte er, sichtlich bemüht, seine frühere
Stellung als Vorsitzender zurückzugewinnen, »kann jeder
erzählen, so wie es ihm beliebt. Unser freundlicherweise
von Madame Blanche abgestellter Secretarius ist lediglich
strikt gehalten, es jeweils so niederzuschreiben, wie es ihm
zu Gehör gebracht wird. Seine eigene, abweichende
Meinung, und die steht Daniel zu wie jedem von uns, mag
er jeweils in Klammern anfügen.«
Rik genoß es, den Mussa’ad wieder auf das Maß
zurückzustutzen, das ihm rangmäßig zustand. »Wir legen
sogar Wert darauf«, sprach ›der Erzieher des Prinzen‹
wohlwollend, »daß sich unser lieber Daniel so umfassend
wie einfühlsam zu allem und jedem äußert!«
»Kühl forschend wie ein Wissenschaftler, erklärend wie
ein weiser Lehrer!« fügte Timdal seinen Spott hinzu.
Irm nickte grimmig. »Vielleicht gelingt es ihm, uns alle
als Gauner des Geistes, als Roßtäuscher hinzustellen!«
Daniel überging auch diesen Affront, sondern verneigte
sich vor dem Mohren. »Ihr, Timdal, seid Euch bewußt,
wahrscheinlich als einziger hier, daß ohne Euch und meine
geringgeschätzte Wenigkeit, die gestellte Aufgabe nicht zu
lösen ist.«
Er warf sich in die flache Brust. »Ich stelle mich und
mein Wissen in den Dienst der gemeinsamen Sache!«
Weder Irm noch Rik schenkte der Secretarius einen
weiteren Blick, sondern tauchte den Federkiel ein. Der
kleine Mohr war es zufrieden. Keiner der Anwesenden
hatte ihn nach dem Ergebnis seiner Reise gefragt – weder,
ob er eine Spur von dem verschollenen Hakim Oliver hatte
ausmachen können, noch nach dem, was er sonst noch in
Tunis getrieben. Dabei war er gar nicht in Tunis gewesen!

KAPITEL III
AUF NACH JERUSALEM

aus der Niederschrift von Mahdia
Einem Lindwurm gleich
Bericht des Mohren
    In der glühenden Hitze des Sommers wälzt sich
rhôneabwärts der ›Kreuzzug der Kinder von Saint-Denis‹
– so nennen inzwischen Mißgünstige wie auch
Bewunderer das schier unfaßbare Ereignis: An die
dreißigtausend junge Menschen ziehen, Schwärmen von
Zugvögeln gleich, einer mysteriösen Verheißung
entgegen, nach der sich das Meer bei ihrer Ankunft teilen
wird, so daß sie trockenen Fußes schnurstracks nach
Jerusalem gelangen – als läge nicht die Berberküste,
sondern die Terra Sancta der provenzalischen Hafenstadt
grad gegenüber! Stephan, der Prophet solcher inspirierten
Voraussagen, rollt in seinem bunt geschmückten
Wägelchen seiner kaum noch überschaubaren Herde
voraus, umgeben von denen, die sich schon in Paris diesen
Ehrenplatz gesichert haben.
    Als verantwortlicher Hirte, der er unbedingt sein will,
ernennt er die Reiter unter ihnen, also jene Burschen von
Adel, die ein Pferd mitgebracht, zu seinen
›Schäferhunden‹ und läßt sie die einzelnen Haufen
umkreisen, anführen und – wo es Not tut – auch für
Ordnung sorgend eingreifen. Das ist zunehmend der Fall,
denn Hitze und Hunger setzen allen mehr und mehr zu.
Durst muß keiner leiden, das Wasser des Flusses ist stets
zur Hand, aber die meisten Früchte sind jetzt im
Hochsommer schon geerntet und die Trauben noch nicht
reif. Die Bauern entlang des Weges, den sie ziehen, haben
nichts abzugeben – und schon gar nicht für Gottes Lohn.
    Als auch flehentliches Bitten um ein Stück Brot nichts
mehr bringt, mehren sich die Übergriffe, erst Diebstähle,
von den Betroffenen noch als Mundraub hingenommen,
dann regelrechte Plünderungen von Scheunen und Ställen.
Aus Schafen werden Wölfe. Die bedrohten Bürger der
Städte entlang des Flusses schließen die Tore, aber die
Bewohner der kleinen Dörfer, der Einzelgehöfte im nahen
Hinterland rufen jetzt die Soldaten ihrer Grundherren
herbei, und die machen wenig Federlesens mit allen, die
sie in flagranti ertappen. Berittene treiben die
Marodierenden, die sich für ihre Raubzüge zu weit von
ihren Haufen entfernt haben, zu Paaren – bald hängen an
einigen ausladenden Ästen mehr leblose Körper als
vergessene Birnen. Wie Vogelscheuchen schwingen die
ausgemergelten Leiber im Sommerwind – den
nachfolgenden hungrigen Mäulern zur handgreiflichen
Warnung. Doch da zur einzigen Wahl nur der sichere
Hungerstod steht, bewaffnen sich die ›Essensholer‹,
zwingen die Priester aus den Kirchen in ihre vordersten
Reihen, schnappen sich kleine Kinder als Geiseln und
prügeln ihren Lebensbedarf aus den Bauern und

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