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Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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waberte
empor, den er sich genüßlich zufächerte. Für den
Inquisitor war damit der Zwischenfall erledigt, doch Luc
erhob sich steif. »Wenn bis morgen mittag«, preßte er
hervor, »die Prophezeiung des Stephan nicht eingetreten
ist, löse ich den Kreuzzug auf.«
Er atmete schwer. »Die Macht habe ich. Ihr könnt sie
mir nicht nehmen!«
Mit einer angedeuteten Verneigung, ohne seinem
Gegenüber in die Augen zu schauen, verließ der ›Vicarius
Mariae‹ den Tisch und die Taverne.
Monsignore nahm den Löffel zur Hand und machte sich
allein über den köstlichen Eintopf her. Nachdem er seinen
Zorn einigermaßen hinuntergewürgt hatte, winkte er den
Schankknecht zu sich.
»Besorgt mir für morgen früh – pünktlich zu
Sonnenaufgang – jemanden, der mich zu dieser Insel
Tauris hinüberrudert!«
Er schob ihm eine Goldmünze hin und sagte auf den
Eintopf weisend: »Allemal besser in meinem Magen, als
in jeglicher Abfalltonne!«
Das sollte wohl ein Lob für den Koch sein, denn er ließ
danach den Löffel nicht eher sinken, bis er den Boden des
Topfes erreicht hatte.
    Mit vor Erschöpfung heiser gewordener Stimme beendete
die Qaria ihren Vortrag. Im ›Saal der Bücher‹ flackerten
die Öllichter. Der Lichtkranz, der die verhüllte Gestalt
umgab, ließ das als ›Eldjinn‹ eingeführte Wesen in seiner
fließenden, seidenen Libàs noch unwirklicher, aber auch
begehrenswerter erscheinen. Rik hätte schwören können,
daß er dieser Frau schon einmal begegnet war. Fragend
schaute er hinüber zum Emir, doch der schüttelte nur
unmerklich den Kopf. Kazar Al-Mansur hatte die ganze
Zeit über versunken am Rand des Podestes gehockt, der
Vorleserin zu Füßen. Jetzt schaute er zu ihr auf. Sie nickte
und erhob sich. Sie war schlank, diese ›Eldjinn‹, auch
kaum eine alte Frau, was man von ihrer rauhen Stimme
her hätte schließen können. Sie reichte dem Emir die Hand
und stieg die Stufen hinab, den Öllämpchen geschickt
ausweichend. Kazar Al-Mansur verneigte sich flüchtig zu
den übrigen Anwesenden hin und verließ nach ihr den
Raum. Diesmal hielt sich Rik an diesen Alekos.
    »Wie kommt es, daß ein Schankknecht sich all dieses so
genau gemerkt hat – und es auch so zu schildern vermag,
als wär’ er überall dabeigewesen.«
    Rik gab sich Mühe, der Frage wenigstens im Tonfall die
Spitze zu nehmen.
Alekos schaute ihn offen an. »Schreiben könnt’ ich von
Haus aus, mein Vater stand in den Diensten des Kaisers
von Byzanz.«
Er ließ Rik Zeit den kleinen Hieb zu verdauen. »Als die
Kinder nach Marseille kamen, insbesondere als Melusine
de Cailhac in ›Zum Traurigen Schwertfisch‹ Quartier
nahm, da wußte ich, daß etwas Besonderes in mein Leben
eingetreten war. Ich ahnte nicht, was geschehen würde,
aber ich vertraute sofort alles meinem Tagebuch an – und
ich war neugierig. Mein Beruf ermöglichte mir, vieles zu
hören und noch mehr zu erfragen. Meine Aufzeichnungen
habe ich dann verloren, aber mein Gedächtnis war durch
das Niederschreiben soweit geschärft, daß ich aus dem
Erinnern all das, was Ihr jetzt Euch freundlicherweise
anhört, in Mußestunden nachzeichnen konnte.«
»Beneidenswert«, sagte Rik. »Ich tue mich da schwerer,
doch muß ich wohl lernen, daß es Leute gibt, die mehr zu
erzählen haben, als sie erlebt haben können!«
Alekos verspürte keine Lust sich zu erklären, aber
Timdal hatte eine Antwort bereit. »Nicht jeder, der
schreibt oder schreiben läßt, ist ein Poet, mein Herr Ritter,
doch ist es jedem Schriftsteller unbenommen, Gehörtes
und sogar Vermutetes so zu formulieren, als habe er es am
eigenen Leibe erfahren –.«
»Zumal es sich hier, beim ›Wunder von Marseille‹«,
griff Alekos jetzt doch ein, »– um eine Abfolge von
Ereignissen handelt, Verwicklungen und dramatischen
Zuspitzungen, in einer solchen Fülle und Würze, daß ein
ordentlicher Koch sich nicht anstehen wird, Unnutzes wie
Unwahres hinzuzufügen –.«
»Die Wahrheit übertrifft eben jede Phantasie!« fügte der
Mohr neunmalklug noch an. »Vor allem, wenn sie einer
schmackhaft zuzubereiten weiß!«
Alekos nahm das Scriptum an sich, das die ›Vorleserin‹
auf ihrem Podest hatte liegen lassen und verließ die
Bibliothek.
»Das Schreiben eines solchen Berichts«, sagte Daniel,
der alles wie immer von seinem Pult aus verfolgt hatte,
»ist wie das Weben eines gewaltigen Teppichs – einer
spinnt das Garn, ein anderer färbt bestimmte Fäden,
wieder einer wirft das

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