Das Kreuz der Kinder
würdig –.«
Étienne griff ein, besänftigend: »Es hat Tote aus
Erschöpfung gegeben, Schwierigkeiten bei der
Nahrungssuche sicherlich – doch wer den Willen hat zu
überleben, der klammert sich auch an den Mast der
Hoffnung!« Étienne war über sich selbst verwundert. »Der
Glaube versetzt Berge, warum sollte er das Meer nicht
teilen!«
Stephan ergriff die Hand Étiennes. »Morgen wird die
geballte Macht unseres Gebets, all denen den Weg ebnen,
die unser Ziel unbeirrt vor sich sehen: Jerusalem!«
Er fiel auf die Knie, nicht ohne Étienne mit sich zu
ziehen, und weinte vor Glück. Die ›Erzengel‹ folgten dem
Beispiel. Der Kreuzgang hallte wider von den inbrünstigen
Gebeten, die bald in frommen Gesang übergingen. Das
milde Licht der Nachmittagssonne wich langsam der
Abenddämmerung.
In der Taverne ›Zum Traurigen Schwertfisch‹ löffelt
Melusine ihre Abendsuppe in Gesellschaft von Blanche.
Sie macht sich Sorgen um Pol. Unweit von ihnen, in der
anderen Ecke des Schankraums läßt sich Gilbert de
Rochefort den Tisch decken, für zwei Personen. Er will es
gegenüber seinem tüchtigen Adlatus Luc de Comminges
nicht an Lob und Anerkennung fehlen lassen. Der
Schankknecht empfiehlt ihm als Appetitanreger
Miesmuscheln im scharfgewürzten Zwiebelsud, danach,
um die Lüfte aus dem Gedärm zu treiben, Calamares
gesotten und geschnetzelt in lauwarmen weißen Bohnen.
Der Inquisitor lacht und schaut zu den beiden jungen
Damen hinüber. Melusine achtet nicht auf den Blick, auch
wenn sie das Speiseangebot des Schankknechts
mitbekommen haben muß.
»Warum ist Étienne noch nicht zurück?!« beklagt sie
sich bei der fürsorglichen Blanche, die sofort losziehen
will, den Säumigen zu suchen.
Melusine verwehrt es ihr. »Schickt Timdal!«
Ihre Heftigkeit schlägt sogleich in Kleinmut um. »Sonst
bin ich ganz allein!«
Blanche legt mütterlich den Arm um die Ältere. »Der
Mohr ist nie zu finden, wenn man ihn braucht!«
entschuldigt Blanche ihr Angebot, aber Melusines Ohr ist
inzwischen abgelenkt von dem, was sich in der anderen
Ecke abspielt.
»Ihr seid ein begnadeter Poet, Alekos!« gab sich der
Herr Inquisitor wohlwollend. »Was wollt Ihr mir aus
Eurer Küche noch anpreisen, das ansonsten der Verderbnis
und Fäule preisgegeben?!«
Alekos war nicht auf den Kopf und schon gar nicht auf
den Mund gefallen. »Dringend steht ein Eintopf zum
Verzehr an, der seit Stunden für Euch auf kleiner Flamme
köchelt: fangfrische Langusten vom frühen Morgen und
fette Muräne –.«
»Vom Morgen des heutigen Tages?!« unterbrach der
Inquisitor streng.
»Ihr hättet sie noch singen hören müssen, als Ihr Euch
zur Ruhe legtet, grad als sie fröhlich ins kochende Wasser
sprangen«, berichtete der Schankknecht und
Küchenmeister in einer Person, »die Muränen kommen
von der Insel Tauris, anerkannt die bestgenährten Tierlein
weit und breit! Ihre bereits gehäuteten Teile tummeln sich
zwischen Fenchelgemüse, schwarzen Oliven und
gerösteten Kastanien, mit Cumin und Anis gewürzt – ein
Schlemmermahl für den Kenner!«
»Oder für den Abfallbottich!« scherzte der Monsignore
gutgelaunt. »Bringt mir das alles – und bestellt einen
jüdischen Arzt!«
Alekos verneigte sich und entschwand in der Küche,
nicht ohne die Damen nach ihren weiteren Wünschen
gefragt zu haben.
Melusine hielt ihm wortlos den leeren Krug hin.
»Hofft Ihr immer noch auf das Kommen Eures
deutschen Ritters?« fragte Blanche teilnahmsvoll, sie
nahm sich den Kummer Melusines zu Herzen.
»Immer weniger«, sagte Melusine, als der volle Krug
von Alekos gebracht wurde. Er schenkte den Damen ein.
»Worauf wartet Ihr dann noch?«
Blanche konnte ihre Anteilnahme auch übertreiben,
Melusine sah sie erstaunt an.
»Was soll ich sonst –.«, seufzte sie, »– wenn wenigstens
Pol zurückkäme!«
Statt dessen betrat Luc die Taverne. »Der Henker von
Bordas!« zischte Melusine verächtlich, sie hatte sich Pols
Einstellung zu eigen gemacht, was den eifernden Hetzer
des grausamen Strafgerichts betraf. Wenn der Freund
schon nicht präsent war, wollte sie ihn doch wenigstens
würdig vertreten. Demonstrativ erhob sie sich und verließ
aufrechten Hauptes den Schankraum über die Treppe, die
hinaufführte ins Obergeschoß. Blanche folgte ihr.
Luc de Comminges schaute ihr sinnend nach, dann
wandte er sich an den Monsignore Gilbert de Rochefort,
an dessen Tisch er getreten war. »Wenn sich morgen früh
nicht das erwartete
Weitere Kostenlose Bücher