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Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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aufgebracht entgegen, »das Ihr, ›Vicarius Mariae‹
zu verantworten habt –.«
Stephan gebot ihm energisch zu schweigen. »Vergebt
Luc, wie ich ihm seine Hofart vergebe, die hoch zu Roß
ein weltlich Fähnlein dem Dienst an dem Herrn Jesus
vorziehen wollte –.«. Doch Étienne ließ sich jetzt den
Mund nicht länger verbieten.
»Verzichten sollten wir auf die bequeme Straße durch
geteilte Wassermassen, sondern uns aufmachen, auf dem
Landweg – wie alle Kreuzzüge zuvor – das heilige
Jerusalem zu gewinnen!«
»Den Zug der Zerlumpten und Barfüßigen zu führen,
macht Ihr Euch wohl anheischig?!« höhnte Luc, doch
Étienne ließ sich nicht beirren.
»Der Aufbruch sollte sofort erfolgen, niemand anderes
als Stephan die Spitze übernehmen.«
»Das Warten auf Gottes Fingerzeig will gelernt sein,
Étienne!« unterbrach Stephan ihn mit unbeirrbarer Milde.
»Wichtig ist doch nur, daß wir das Heilige Land überhaupt
erreichen – ob wir nun wie die Vögel fliegen oder wie die
Fische schwimmen!«
»Lernt von ihnen!« hakte Étienne ein. »Sie zögern nicht,
sie rasten nicht!«
»Geduld, mein Freund«, ermahnte ihn Stephan immer
noch lächelnd, »der Glaube versetzt…«
»Das Warten wird uns töten, uns zermalmen und deine
großartige Idee erwürgen, Stephan!«
»Wärst du kein kläffender Straßenköter, könnte man dir
nicht nur Kleinmut vorwerfen, Étienne –.«, nahm Luc die
Gelegenheit wahr, es dem Widersacher heimzuzahlen,
denn Stephan war unter der Wucht der furchtbaren
Drohung verstummt, »sondern auch Ungehorsam! Gott hat
durch seinen Diener Stephan sein Wort gegeben, und sein
Befehl lautete ›Ich werde dir das Wasser teilen, wie ich es
für Moses tat‹.«
Der Vicarius prüfte die Wirkung seiner Predigt vor allem
auf den Eindruck hin, den sie bei Stephan hinterließ.
»Nicht warten zu können, beweist nur, daß einer Gottes
Huld nicht wert ist.«
Das hatte er leise fragend vorgebracht, so daß sich
Stephan darüber klar werden mochte, wer hier nicht wert
war, ja sogar in offener Feindschaft zum göttlichen Gebot
und seinen auserwählten Verkünder getreten war. Dieser
Étienne war der Versucher, der Zerstörer, der Teufel selbst
war in ihn gefahren! Luc nestelte unter seiner Kutte nach
seinem hölzernen Brustkreuz und stieß es mit
dramatischer Gebärde gegen den elenden Dieb. »Weiche,
Satan!« krächzte er heiser.
Étienne grinste, doch Stephan legte den Arm um seine
Schulter und zwang den Aufmüpfigen, ihm ins Gesicht zu
schauen. »Verlaß mich nicht, Bruder«, sagte er, Étiennes
Vertrauen heischend, »Gott prüft uns.«
Er suchte nach einem salbungsvollen Abschluß.
Luc half ihm aus. »Durch die Not gelangen wir zur
Würde –.«
»– Wie einst die Kinder Israels.«
Stephan kamen vor Rührung die Tränen.
Étienne schlug die Augen nieder. Er konnte Stephan
nicht weinen sehen. Nur der vorwurfsvolle Blick des
Vicarius, der besagen sollte ›Da siehst du, was du
angerichtet hast!‹ brachte ihn dazu, sich trotzig
loszureißen; verbohrt waren sie beide, Stephan aus seinem
Sendungsbewußtsein, der Domenikaner in seinem Streben
nach Macht. Ohne einen handfesten Gegenvorschlag
würde er, der kleine Dieb, nichts erreichen, sicher nicht,
daß sie Abstand nähmen von dem Gedanken, ein Wunder
müßte geschehen. Er, Étienne, glaubte nicht an Wunder
und an solche Meeresspalterei schon gar nicht! In einer
Aufwallung von brüderlichen Gefühlen umarmte er
Stephan mit ungelenker Heftigkeit. »Ich bin der letzte, der
dich verläßt«, sagte er fest, »andere werden dich verraten,
ehe denn der Hahn dreimal gekräht!«
Mit diesem Satz ließ er die beiden stehen und schritt
davon.
    Im Schankraum ›Zum Traurigen Schwertfisch‹ saßen des
Nachts noch Melusine in Gesellschaft ihrer Zofe Blanche
und ihres Leibmohren Timdal. Inzwischen machten sich
beide Damen Sorgen um den Verbleib der Freunde –
Melusine um den eigensinnigen Pol und Blanche um ihren
Étienne. Der Schankknecht mußte den Krug immer wieder
füllen, nur Timdal fand an dem unmäßigen Weingenuß
keinen Gefallen – er war in seinem Herzen immer Muslim
geblieben –, weswegen er sich alsbald verabschiedete, um
sich im Stall schlafen zu legen. Alekos machte durch
mehrfaches Gähnen darauf aufmerksam, daß auch ihm der
Sinn nach verdienter Ruhe stand, so daß Melusine die
Tafel kurz entschlossen aufhob. Sie bat den Schankknecht,
Blanche hinaufzubegleiten, denn das Mädchen hatte mehr
in sich

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