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Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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hineingeschüttet, als es vertrug. Sie, Melusine
wolle noch schnell nach Timdal sehen, um etwas für den
morgigen Tag zu klären. Sie wartete, bis Alekos die sich
an ihn klammernde Blanche die Treppe hinaufbefördert
hatte, dann verließ sie den Schankraum schnellen
Schrittes, nicht durch den Hinterausgang zum Hof,
sondern nach vorne hinaus auf den nächtlichen Kai.
    Étienne irrte durch die dunklen Gassen und Höfe. Eines
hatten die Kinder gelernt in den zwei Tagen, daß sie eng
beieinander bleiben mußten, um nicht wie räudige
Straßenköter mit Steinwürfen gejagt zu werden. So
hockten sie um große Lagerfeuer auf den Plätzen,
möglichst in der Nähe von Brunnen und Waschhallen,
rieben und preßten sich aneinander, bis sie mit knurrenden
Mägen vom Schlaf übermannt wurden. Die Straßen um sie
herum hatten sich meist unheilschwanger entleert, wenn
sich nicht die drohende Wut der Einheimischen in
zusammengerotteten, mit Knüppeln bewaffneten Gruppen
offen zeigte. Alle Märkte und Ladengassen waren
inzwischen bewacht, es ging das Gerücht, daß im
Torbogen zum großen Fruchtmarkt zwei ausgemergelte
Körper hingen, an dünnen Seilen aufgeknüpft, allen zur
Warnung. Étienne hätte es bezeugen können, denn er war
auf seinem ziellosen Streifzug genau dort angelangt, wo
auch die Gasse der Ölhändler und die der Bäcker
mündeten. Der Duft von frisch gebackenem Brot zog ihm
unwiderstehlich in die Nase, so daß er der über ihm
Baumelnden nicht achtete. Er starrte nur gebannt auf den
Glutschein der Backöfen und in deren Licht aufgestellt –
wie verzaubert – auf die langen, dampfenden Brotlaibe,
die übereinandergeschichteten knusprigen Fladen –, als
plötzlich aus dem Dunkel kräftige nackte Arme nach ihm
griffen. Die Bäckergesellen hatten nicht mit der
Wendigkeit des kleinen Diebes gerechnet. Étienne tauchte
instinktiv unter die mehlweißen Fäuste, rollte sich
zusammen wie ein Ball und wutschte ihnen zwischen den
stämmigen Füßen hindurch. Weglaufen, Rennen, das
wußte er aus Erfahrung, war jetzt das falscheste. Er sprang
in eine dunkle Ecke und ließ die blind nach allen Seiten
Stürmenden sich verlaufen. Erst als er gewiß sein konnte,
daß sie die Jagd aufgegeben hatten, verließ er vorsichtig
sein Versteck.
    Melusine war – aufgrund ihrer leichten Trunkenheit – wie
eine Schlafwandlerin durch die Straßen gegangen. Für die
an allen Ecken lauernden Bedrohungen hatte sie kein
Auge, so daß sie keine Gedanken daran verschwendete,
wie leichtsinnig sie handelte, ohne ihre Fuhrknechte, die
nichtsnutzig im Stall lungerten, sich mutterseelenallein des
Nachts in diese Stadt zu wagen – wenigstens Timdal hätte
sie mitnehmen sollen! Doch das kam ihr nicht einmal in
den Sinn, als sie – von wildem Gejohle angelockt – auf
einem Platz anlangte, in dessen Mitte sich ein altes
Kirchlein erhob. Eine aufgebrachte Menschenmenge
umringte das Gotteshaus, vor dessen einziger Tür sie einen
gewaltigen Berg aus Holz und Gestrüpp, Lumpen, Stroh
und verrotteten Körben aufgeschichtet hatten. Desgleichen
erhoben sich auch unter den wenigen hohen Fenstern
solche Haufen, und einige brannten schon, ihr beizender
Qualm nebelte die Kirche ein. Die Leute waren außer
Rand und Band, denn aus dem Innern hörten sie jetzt die
verzweifelten Schreie der Eingeschlossenen, sie hämmerten mit bloßen Fäusten gegen die Tür.
    »Verbrennt sie alle!« schrien einige Weiber. »Räuchert
das Rattengesindel aus!«
Ein dicker Priester versuchte denen zu wehren, die jetzt
auch den Scheiterhaufen vor der Kirchentür in Flammen
setzen wollten. »Ihr vergeht Euch am Leibe Christi!«
zeterte er gegen sie an, doch sie stießen ihn beiseite.
Prasselnd loderten das leicht brennbare Stroh und die
trockenen Zweige auf, gleichzeitig klirrten die
Glasscheiben eines der Fenster, wahnsinnig vor Angst
sprangen die ersten Körper in die Feuerstöße, bejubelt von
der entfesselten Masse, unbarmherzig stießen sie die
zurück, die sich kriechend aus der Flammenglut retten
wollten. Da hielt es Melusine nicht länger. Sie sprang vor
und riß ein Mädchen, sein Haar war völlig versengt, aus
dem funkenstiebenden Brandherd heraus, doch schon
versperrten ihr einige rohe Gesellen den Weg.
»Werft sie zurück ins Feuer!«
Melusine stellte sich breitbeinig über das Mädchen, die
Weiber kreischten: »Beide! Zur Hölle mit dem
Rattenpack!«
Melusine zerrte an dem schlaffen Arm, um das
unglückliche

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