Das Kreuz der Kinder
als des Nachts
allein durch die Straßen von Marseille zu streunen.«
»Ein hartes Wort für ein junges Mädchen, das sein Herz
vor dem Unglück anderer nicht verschließt!« ›Armin‹ von
Styrum war nach Mahdia zurückgekehrt, wie es ihre
selbständige Art war, ohne Ankündigung und ohne
Bedenken, ob ihre Anwesenheit gerade erwünscht war. Sie
kam auch dem Emir zuvor, denn sie schritt stracks auf das
illuminierte Podest zu, zog die Vorleserin zu sich hoch
und umarmte sie heftig. »Ya Djinn, was quält man Euch,
meine Liebe?!« rief sie mit gespielter Empörung aus, »daß
Ihr Eure Stimme bar jeder angemessenen Pause, jeder
Rücksicht auf die Empfindlichkeit eines zarten Rachens,
hier in den Frondienst –.«
»Es ist ein Dienst an meiner Schwester!« unterbrach sie
die Verhüllte, »und ihm unterziehe ich mich gern!«
Sie streifte sich die Burka vom Kopf und stand plötzlich
mit kurzgeschnittenem Haar vor ihnen wie ein junger
Ordensritter. Lächelnd blickte Elgaine in die Runde, als
erstes auf den Emir, doch Kazar Al-Mansur saß da, den
Kopf in die Hände vergraben. Die entzauberte Djinn
schenkte Daniel ein freundliches Nicken, zwinkerte dem
kleinen Mohren zu, bis dann ihr Blick auf Rik haften
blieb. »So sieht man sich wieder, Rik van de
Bovenkamp«, sagte sie leise, ohne sich von der Stelle zu
rühren.
Rik raffte sich auf aus seiner Erstarrung. »Wenn ich
schon als letzter« – der Emir schaute immer noch nicht auf
– »von Eurem glücklichen Überleben, den Umständen, die
Euch bis hierher geleitet, erfahren muß, Elgaine
d’Hautpoul – offensichtlich ein streng zu hütendes
Geheimnis um Eure Person –.«
»Hier bin ich in Fleisch und Blut!«
Sie gab sich schnippisch, doch keineswegs abweisend,
Rik bemühte sich den Faden nicht zu verlieren, er war
verwirrt – und verärgert, daß er nicht früher darauf
gekommen war -
»So gestattet mir wenigstens den Sprung in die
Vergangenheit und in die ungelöste Frage: Was geschah
damals in Palermo? Was hatte es eigentlich mit dem Ring
auf sich, den ich immer noch – nun wieder – besitze?«
»Welchen Ring?« kühl hakte Elgaine ein. »Es gibt
zwei!«
Irm fühlte sich aufgerufen einzuschreiten. »Elgaine kann
Euch das ein andermal erzählen! Jetzt bedarf die Arme der
Erholung, eines Ruhetags!« legte sie mit Bestimmtheit
gleich fest.
Mit gequältem Antlitz richtete sich endlich der Emir auf,
sein Blick suchte Halt bei Rik. »Verzeiht mir, daß ich aus
Eigensucht Euer aller Anstrengungen außer Acht gelassen
–.«
»Ich bitte Euch, so furchtbar steht es nicht um mich«,
wehrte sich Elgaine gegen jede Art von Vereinnahmung,
jetzt allerdings mit deutlich rauher Stimme, »daß ich dem
alten Freund mit seiner deutschen Gründlichkeit nicht auf
die Sprünge helfen will!«
Irm gab sich nicht geschlagen. »Wenn Rik darauf
besteht, auf der Stelle seine Neugier befriedigen zu
müssen, dann solltet Ihr, liebe Elgaine, wenigstens
pfleglich mit Euer Kehle umgehen!«
Das Fräulein von Styrum schaute fordernd zum Emir.
»Man bringe Ihr ein warmes Getränk – mit viel Honig!«
befahl sie.
»Wieso zwei!?« drängte Rik, schon um sich gegen die
forsche Dame durchzusetzen. Elgaine schaute sich fragend
nach Daniel um. Der Schreiber hatte bereits seinen
Federkiel eingetaucht -
»Den zweiten Ring hatte Murad, der Mu’allim des
Königs in Auftrag gegeben – aus verletzter Eitelkeit? Aus
blinder Rachsucht gegenüber einer christlichen Kirche, die
ihn, seinen Einfluß auf Friedrich, auszuschalten suchte?
Jedenfalls brachte er mit diesem unbedachten Schritt die
Krone in höchste Gefahr.«
»Ein verborgenes Gift?!« rätselte der Emir laut, aber
Elgaine ging darauf nur in sofern ein, daß sie das Wort
aufgriff.
»Der Ring enthielt Gift! Ein Gift, das nur beim
zukünftigen deutschen König Friedrich seine böse
Wirkung hätte entfalten können – und, zu allem Übel,
hatte der gekränkte Mu’allim das schriftliche Rezept dazu
arglos dem Juwelier überlassen! Die Drohung hing
plötzlich über den Eingeweihten wie ein
Damoklesschwert, denn Murad hatte mir alles gebeichtet.
Kaum war die Dunkelheit über Palermo gefallen,
verließen wir beide den königlichen Palast in aller
Heimlichkeit und hasteten zu Lofti, dem Goldschmied.
Wir fanden ihn im Hinterzimmer seiner Werkstatt – in
seinem Blut hingestreckt. Die Inquisition war schneller
gewesen, doch nicht sehr gründlich. Lofti atmete noch,
Murad drang in ihn, ob sie seinen
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