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Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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hatten,
war keines, das nicht hoffnungslos überladen war. Sie
versuchten abzulegen, doch das war, als wollte man ein
lebendes Band zerreißen, so hingen die Leiber wie Kletten
an den Haltetauen, klammerten sich an die Ruderblätter,
Strickleitern und Anker. Eines kenterte noch im Angesicht
der Kaimauer, die anderen gewannen wenigstens die Mitte
des Hafenbeckens, scharten sich um ihren Admiral, den
›Eisernen Hugo‹. Der rief ›Guillem das Schwein‹ zu sich
und beriet sich kurz mit seinem Kumpan.
    Die ungeheuren Mengen an Kindern, die Hugo am Ufer
zurücklassen mußte, hatten indes die Begehrlichkeit ›des
Schweins‹ geweckt, er wollte jetzt doch noch die
Müllbarken zum Einsatz bringen, denn es sei ein Jammer,
auf so leichten, zusätzlichen Gewinn zu verzichten. Hugo
hegte starke Zweifel an der Hochseetauglichkeit der drei
›schwimmenden Wracks‹, wie er sie bezeichnete, doch
Guillem Pescatore kehrte seine obskure Vergangenheit als
Admiral heraus: Unter seiner Führung würden sie ihre
Aufgabe durchaus noch erfüllen! Der ›Eiserne Hugo‹
willigte ein, von jedem der vier Schiffe ein paar Mann
abzuziehen – vom gekenterten fünften hatten sich die
Seeleute, im Gegensatz zu den meisten Kindern, retten
können – und damit die Müllbarken zu bemannen.
    Guillem sollte also an Tauris vorbeisegeln und sich dort
mit einem Ruderboot absetzen lassen, die drei Barken in
den Hafen bringen, während der Rest der Flotte vor der
Insel warten solle, bis er, Hugo mit Stephan käme. Den
Oberbefehl über die ›Reserve‹ vertraue er gerne Guillem
an, aber warten würde er nicht auf ihn, sondern bereits in
See stechen. Dem ›Schwein‹ war’s recht. Unter wildem
Wehgeschrei der Zurückgebliebenen segelten die ersten
drei Schiffe aus dem Hafen.
    In Anbetracht der wilden Verzweiflung aller, die noch
den Kai belagerten, besonders derer, die sich aus dem
Wasser hatten retten können, beschloß Hugo sich
weiterhin von der Mauer fernzuhalten und schickte nur das
Beiboot aus, um Stephan und sein engstes Gefolge, die
›Erzengel‹ an Bord zu holen. Auf sein Wägelchen mußte
der ›Mindere Prophet‹ verzichten, aber wenigstens der
Baldachin, als Zeichen seiner Würde, wurde aufs
Ruderboot gehievt.
    Inzwischen hatten die Zurückgebliebenen das gekenterte
Schiff, das kieloben im Hafenbecken trieb, ans Ufer
gezerrt. Hunderte von Armen reckten sich, Dutzende von
schmächtigen Schultern stemmten sich, um den
Bootskörper aufzurichten und sofort wieder ins Wasser zu
schieben.
    Von der Taverne aus beobachtete Melusine – umringt
von Étienne und Blanche, Timdal und Alekos –, wie
Stephan an Bord des letzten verbliebenen Seglers gebracht
wurde und auch dieser die Segel setzte und aus dem Hafen
glitt. Melusines Stimmung schwankte zwischen
Erleichterung, Enttäuschung und schlechtem Gewissen.
Ihr blonder deutscher Ritter war nicht aufgetaucht – und
ihr Freund Pol hatte sie schnöde im Stich gelassen. Sie
hielt es für ausgeschlossen, daß er unter denen sein
könnte, die jetzt aufs Meer hinausfuhren – er hätte sich
vorher von ihr verabschiedet. Doch andererseits, was
sollte sie hier jetzt noch? Wozu hatte sie die lange
mühselige Reise bis nach Marseille auf sich genommen,
um jetzt, angesichts der Erfüllung des Traums, nach
Jerusalem zu gelangen, verzagt in einer Hafenkneipe zu
hocken, während die anderen dem großen Abenteuer
entgegenfuhren? Étienne und Blanche verhehlten ihren
Mißmut nicht. Sie hatten sich nur mit Rücksicht auf
Melusine nicht in das Getümmel gestürzt. Für den kleinen
Dieb von Saint-Denis und seine Gefährtin entschwand mit
dem Segel des sich entfernenden Admiralsschiffes jegliche
Hoffnung auf ein neues Leben. Selbst Timdal, der kleine
Mohr, tat seine Stimmung kund, als er laut verkündete:
    »Ich wäre mit Euch, Melusine de Cailhac, bis ans Ende
der Welt gegangen!«
Genau zu diesem Zeitpunkt erschienen wie eine schäbige
Fata Morgana die drei Müllbarken in der Hafeneinfahrt,
am kümmerlichen Mastbaum mehrfach geflicktes Tuch
gesetzt. Von den wenigen Ruderblättern unterstützt, glitten
sie nicht stolz heran, sondern krochen verschämt, sich
ihrer Unansehnlichkeit bewußt, dem Kai entgegen. Und
doch erweckte ihr Anblick plötzlich ein so starkes Gefühl
des letztmöglichen Aufbruchs, daß der bis dahin
schweigsam vor sich hinbrütende Alekos aufsprang.
»Ihr könnt hier bleiben!« rief er seinen Gästen im
Schankraum zu. »Ich fahre gen

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