Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
Salzwasser umherstoben, die ihm unwahrscheinlich erfrischend erschienen, sobald sie seine Haut berührten. Hier machte auch ein Spruch die Runde, der ihn merklich aufheiterte und den er sich sogleich gut einprägte. Es war eine Faustregel, mit welcher man Luv und Lee, also die dem Wind zugewandte und die dem Wind abgewandte Seite, auseinanderhalten konnte. Sie lautete: „Kotzt Du in Lee, geht’s in die See, kotzt Du in Luv, kommt’s wieder ruf.“
Erik hatte sich wieder einmal über die Reling gebeugt, ja er hing förmlich mit dem ganzen Körper darüber, und war im Begriff sich zu erleichtern, da tippte ihm von hinten jemand auf die Schulter, der grinsend den Kopf schüttelte. Es war ein Riese von einem Menschen, so daß Erik um ein Haar erschrocken wäre, wie er den Kopf drehte und seiner ansichtig wurde. „Dir geht’s wohl nicht besonders“, sagte der Hüne in einem Englisch, das keinen Zweifel daran ließ, daß der Sprecher ein Osteuropäer war. „Heiße Wassilij“, sagte er und streckte ihm seine Hand hin. „Eine gewaltige Pranke“, dachte Erik, der ganz verwundert war über diese Vorstellung, und schlug mit den Worten: „Erik, freut mich“ ein. Dieser Gigant mochte wohl bloß leicht gedrückt haben, aber dem jungen Mann schmerzte für einen Moment die Hand, mit der er die Wassilijs geschüttelt hatte, was er sich selbstverständlich nicht anmerken ließ. Es war der Zweite Ingenieur, der an Deck gekommen war, um eine Zigarette zu rauchen und die frische Luft zu genießen – zugegeben ein Paradoxon. Er war es gewesen, der nach dem Leck in der Kraftstoffleitung vom Scheitel bis zur Sohle von Schweröl bedeckt gewesen war, weil er sich zur falschen Zeit am falschen Ort befunden hatte, wie man gemeinhin zu sagen pflegt, wenn es jemanden unglücklich erwischt hat.
„Ist wohl wegen der Dünung, das kommt vor. Es geht aber auch vorbei, keine Sorge“, sagte Wassilij lächelnd und nahm einen tiefen Zug, Erik dabei schräg von der Seite musternd, und blies dann den Rauch wieder genüßlich gen Himmel, gleich einem Indianer den Qualm einer Friedenspfeife. „Du wirst doch nicht mit dem Gedanken spielen, den Kapitän um Tabletten gegen Seekrankheit zu bitten?“ fragte er langsam und schielte dabei skeptisch von oben herab auf den armen Burschen, der dies wirklich vorgehabt hatte.
„Dachte eigentlich schon daran, da ist doch nichts dabei, oder?“ erwiderte Erik, der sich durchaus ertappt fühlte, wenngleich er nicht genau sagen konnte, weshalb. „Pah!“ schnob der hünenhafte Ukrainer, „diese verfluchte Chemie schadet mehr, als daß sie nützlich ist, das sag ich Dir, mein Freund.“ Er machte eine kleine Pause und schien zu überlegen, dann sagte er bestimmt, nachdem er sich kräftig geräuspert hatte: „Mach’s wie wir gestandenen Seeleute: ein Gurkenglas mit der Einlegflüssigkeit mußt Du leer saufen, dann reiherst du einmal richtig und danach nie wieder, glaub mir, ich spreche aus Erfahrung.“ Erik blickte seinen Gesprächspartner, der ihm solch eigentümliche Ratschläge erteilte, mit großen Augen an und wiederholte ungläubig: „Ein Gurkenglas leer saufen?“
„Jawohl, ganz recht, Brüderchen, das hilft bestimmt, auf Ehr!“
„Ein probates Mittel also“, dachte Erik schmunzelnd, „aber was soll’s: probieren geht schließlich über studieren.“
„Ich bring Dir gleich mal eines ran, bin gleich wieder da“, verabschiedete sich der Ingenieur, warf seine Kippe, von der er vorher den Filter entfernt und in die Tasche gesteckt hatte, ins Meer und verschwand im Schott zum Maschinenraum. Erik stand noch immer an der Reling und sah ihm verwundert nach. Er grübelte so über das Gesagte nach, daß er darüber seine Übelkeit ganz vergaß. Nach kaum fünf Minuten zeigte sich das vergnügte Gesicht des Ukrainers wieder im Türschott, und hinter dieser lachenden Visage, in deren Zentrum eine rote Knollennase ragte, gewahrte Erik den gewaltigen Leib Wassilijs, der in der Rechten tatsächlich ein Gurkenglas hielt, mit dem er ihm zuwinkte.
Erik Bühler kam zwar auch der Gedanke, der Mann wolle seine Scherze mit ihm treiben, ihm einen Bären aufbinden, wie Anatol, Pierre und Dolochow dem Ordnungshüter in Tolstois „Krieg und Frieden“, aber er sagte sich eben: „Versuchen kannst du’s ja, denn sterben wirst du daran nicht – und was dich nicht umbringt, das macht dich bloß härter.“ Letzteres war sogar sein persönlicher Wahlspruch, und so faßte er das Glas denn beherzt mit
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