Das Kreuz des Zitronenkraemers
bekomme ich bald meinen Koffer, flehte Hannes innerlich.
Während er beschämt seinen strahlenden Alabasterkörper entblätterte, unterhielten sich die Wärter lachend im Gang. „Beeil dich, Kumpel!“, rief ein fettleibiger Kerl unter der Dusche. „Bist wohl neu! In vier Minuten ist das heiße Wasser weg.“ Na, das fehlte noch! Zählte Hannes doch, wie Anne immer sagte, zu den Warmduschern. Flink sprang er unter die Brause. Bereits fünfzehn Minuten später lag Hannes wieder auf seiner Pritsche. Wirre Gedanken um den Toten und Anne verfolgten ihn. Hoffentlich hatte er sie nicht in Gefahr gebracht, als sie auf Paula wartete, fiel ihm siedendheiß ein. Wo hatte sich der Mörder versteckt? War er vielleicht noch in der Nähe, als Anne nach Paula suchte? Wie konnte er Anne nur darum bitten, dort auf Paula zu warten? Seine Hündin hätte auch allein nach Hause gefunden und Peter hätte sich mit Sicherheit um sie gekümmert. Vom schlechten Gewissen verfolgt, verbrachte Hannes seine erste Nacht im Knast in einer Art Halbschlaf, von wirren Träumen begleitet.
Kapitel 2
Schlaftrunken blinzelte Anne in die hechelnde Hundeschnauze direkt vor ihrem Gesicht.
Oh nein. Also hatte sie nicht geträumt.
Der Hund war hier. Hier auf Annes Bett. Der lebende Beweis dafür, dass auch alles andere Realität sein musste.
Ein Mann ist getötet worden. Hannes war des Mordes beschuldigt und eingeknastet.
Unglaublich.
Anne setzte sich stöhnend auf und grabschte auf dem Nachttisch herum. Dort lag der Zettel von Hannes. Anne hatte ihn gestern im Briefkasten gefunden, zusammen mit einer Nachricht von einem Anwalt. Hannes hatte also nun schon einen Anwalt. Die Mühlen der Justiz waren in Gang gesetzt. Das volle Programm.
Armer Hannes! Wie es ihm wohl geht? Die erste Nacht im Knast hatte er schon mal hinter sich. Anne wollte nicht darüber nachdenken, wie viele vielleicht noch folgen mochten.
„Und was wird dann aus dir?“ Anne streichelte Paula hinter den Ohren. Paula schien sich nicht so viele Sorgen zu machen, genüsslich wälzte sie sich auf den Rücken und wollte sich von Anne den Bauch kraulen lassen.
Genau wie Hannes, dachte Anne, so unbekümmert würde ich auch mal gern sein. Kopfschüttelnd las sie noch einmal Hannes Zettel. Nicht, dass er ihr geschrieben hätte, wie es ihm geht, was er denkt, dass er nichts mit dieser schrecklichen Sache zu tun hat…nein, nichts dergleichen! Hannes hatte einen Einkaufszettel geschrieben! Scheinbar schien er sich in seiner neuen Bleibe einrichten zu wollen. Alles was „Mann“ so braucht! „Mein lieber Hannes Harenberg, ich glaube, das kann ich dir im Knast nicht besorgen“, murrte Anne und strampelte sich aus ihren weichen Kissen.
So mir nichts, dir nichts, hatte Hannes ihr einfach die Verantwortung für Paula aufs Auge gedrückt! Wie stellte er sich das eigentlich vor? Aber wahrscheinlich hatte er daran keinen einzigen Gedanken verschwendet.
Nun, jetzt wurde sie vielleicht ein bisschen ungerecht. Schließlich war Hannes Welt gestern binnen weniger Minuten aus den Angeln gehoben worden. Natürlich würde sie ihn nicht hängen lassen.
Anne zog den alten Koffer von Hannes unter ihrem Bett hervor.
Behutsam streichelte sie ein paar Staubwölkchen vom Leder. Fast ein halbes Jahr war es nun schon her, dass Hannes ihr den Koffer geliehen hatte. Für ihren Auszug. Den Auszug aus seinem Haus in Bekond.
Musste das alles jetzt passieren?
Gerade hatte Anne angefangen, nicht mehr so oft an ihn zu denken. Und jetzt schob er sich mit voller Kraft wieder in ihren Kopf hinein.
Aber Hannes würde sich nie ändern! Sie wollte jemanden, auf den sie sich verlassen konnte. Keinen, der ständig alles Mögliche vergaß, ihr nie richtig zuhörte und ständig nur seine eigenen Sachen im Kopf hatte … so wie Hannes. Anne seufzte und hievte den Koffer aufs Bett. Keine Zeit für trübsinnige Gedanken. Sie hatte Einiges zu erledigen.
Anne rief zunächst im Büro an. Schließlich war es unmöglich, Paula den ganzen Tag allein in der Wohnung zu lassen. Annes Chefin war zum Glück fanatische Besitzerin zweier Hunde und hatte vollkommenes Verständnis für Paulas Situation. Also bekam Anne frei und konnte sich daher gleich in die glitzernde Konsumwelt für Mensch und Tier stürzen. Schließlich war nicht nur Hannes zurzeit bedürftig, was lebensnotwenige Dinge anging, auch Paula war ja ohne jegliches Gepäck angereist.
Es war schon fast Mittag, als Anne endlich mit dem Hund und voll
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