Das Kreuz des Zitronenkraemers
hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Ein energisches Klopfen weckte ihn, als bereits gleichzeitig ein Mann mittleren Alters seine neue Bleibe betrat. „Hier hat man wohl gar keine Privatsphäre“, begrüßte Hannes ihn muffig. „Wohl kaum. Sie wissen wohl noch nicht richtig, wo sie sich befinden!“, antwortete er überheblich. Er trug Jeans und einen sehr edlen, grauen Strickpullover. Er war vielleicht vierzig, fünfundvierzig Jahre alt und hatte ein ernsthaftes Gesicht. Oberlehrerhaft blickte er auf Hannes herunter. „Mein Name ist Wilhelm Lehnertz. Ich bin Ihr Anwalt. Falls Sie Interesse an meiner Hilfe haben, müssen Sie mit mir kooperieren.“ „Ich hoffe nicht, dass ich Ihre Hilfe benötige. Schließlich habe ich kein Verbrechen begangen!“, erwiderte Hannes patzig. „Wie dem auch sei. Haben Sie bereits eine Aussage gemacht?“, fragte er nun etwas freundlicher. Sicherlich wurde ihm gerade bewusst, dass er mit solchen Leuten wie mir sein Geld verdiente, dachte Hannes. „Mehr oder weniger. Eigentlich wurde ich lediglich untersucht. Fingerabdrücke, Speichelprobe und Schmauchspurentest oder wie immer man das nennt. Meine persönlichen Sachen haben sie mir weggenommen, meine Waffe und auch meine Wagenschlüssel. In meinem Auto, das sie wohl inzwischen einkassiert haben, befindet sich mein Handy, außerdem wichtige Papiere für den Quartalsabschluss.“ „Um diese Dinge machen Sie sich mal keine Sorgen. Wenn Sie wirklich nichts mit der Sache zu tun haben, sind Sie in spätestens einer Woche wieder draußen. Normalerweise sind die kriminaltechnischen Untersuchungen bereits nach zwei oder drei Tagen abgeschlossen. Aber nun erzählen Sie mir am besten in allen Einzelheiten, was Sie heute morgen zwischen 5:00 Uhr und 7:00 Uhr gemacht haben und wie Sie die Leiche entdeckt haben.“ Während Hannes ihm nun den ganzen Morgen ausführlich schilderte, tippte er flink alles in seinen Laptop. Hannes nutzte dabei die Gelegenheit, sich wieder die Hose anzuziehen. Hätte er doch nur saubere Klamotten! Eine Dusche wäre auch nicht schlecht. Verzweifelt versuchte er mit den Händen, seine drahtigen Haare wieder etwas zu ordnen. Neben diesem aalglatten Anwalt fühlte sich Hannes wie der letzte Penner.
„Nun gut, Ihre Situation ist wirklich nicht aussichtslos“, sagte Lehnertz lächelnd, als Hannes mit seiner Geschichte geendet hatte. „Die Ballistiker werden schnell feststellen, dass die tödliche Kugel nicht aus Ihrer Waffe stammt. Schmauchspuren werden sie zwar finden, aber dies stimmt ja mit ihrer Aussage am Tatort überein. Unter diesen Umständen werden Sie dann entlassen. Da Sie das Opfer ja nicht kannten, wird auch kein mögliches Tatmotiv bestehen. Haben Sie noch Fragen oder brauchen Sie sonst noch irgendetwas?“
So ein Anwalt war doch gar nicht so schlecht! „Ja, saubere Klamotten und eine Dusche!“, erwiderte Hannes glücklich. „Na, wenn das alles ist! Schreiben Sie mir die Adresse eines Angehörigen oder Freundes auf mit einer Liste der Dinge, die Sie brauchen.“ Hannes neuer Held Wilhelm warf locker einen Notizblock auf den Tisch.
Voller Vorfreude auf ein paar Annehmlichkeiten hockte Hannes bald wieder alleine in seiner Zelle. Wie lange er es hier wohl aushalten musste? Aber Dank Wilhelm Lehnertz machte er sich jetzt keine allzu großen Gedanken mehr. „Immer das Positive sehen!“, pflegte schon Hannes alter Herr immer zu sagen. Und an diese Lebensphilosophie hielt Hannes sich auch. Etwas zu lesen wäre jetzt nicht schlecht, dachte er. Dazu hatte Hannes in den letzten Monaten nämlich gar keine Zeit gehabt. Die Arbeiten im Weinberg und auch das gerade neu begonnene Jagdjahr hatten dazu keine Zeit gelassen. Schneiden, aufbinden, mulchen, alles war zum Glück erledigt. Die meisten Kartoffeläcker von Bauer Franz und auch der neu eingesäte Mais waren bereits gezäunt. So würde sich der Wildschaden mit den Sauen in Grenzen halten.
Als das Abendessen gebracht wurde, gab Hannes dem Wärter seine Sehnsucht nach rauschendem Wasser bekannt.
Pünktlich um halb acht wurde er abgeholt. Zwei bewaffnete Blaumänner führten ihn gemeinsam mit drei weiteren Knackis in die Duschräume. Was die wohl auf dem Kerbholz hatten? Die Duschen erinnerten Hannes an seine Schulzeit. Ein von oben bis unten beige gekachelter Raum mit einem Ablauf in der Mitte. In der Ecke stand eine Art Servierwagen mit Handtüchern und ein großer Seifenspender. Na prima, jetzt fehlte nur noch frische Wäsche. Hoffentlich
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