Das Kreuz des Zitronenkraemers
Mit dem, was für ihn sprach war sie schnell fertig. Nett und freundlich. Beliebt bei seiner Kundschaft. Sympathisches Aussehen.
Anne stöhnte. Es sahen eben nicht alle Mörder aus wie Klaus Kinski in seinen besten Jahren. Die meisten erkannte man wohl nicht beim ersten Anblick. Und selbst Anthony Hopkins als Hannibal Lector im Schweigen der Lämmer kam sogar regelrecht sympathisch rüber, dachte Anne und schob diese unsinnigen Fluchtversuche ihres Hirns mit einer wegwerfenden Handbewegung schnell beiseite.
Also, was sprach denn nun gegen ihn?
Das konzentrierte Arbeiten beruhigte Anne besser als jedes Getränk der Welt. Ihr Puls hatte Normalgeschwindigkeit angenommen und ihre übrigen Körperfunktionen hätten bei jedem Arzt und ihrer Krankenkasse ein zufriedenes Lächeln ausgelöst. Anne rief sich ihre beiden Besuche in dem kleinen Laden ins Gedächtnis. Sie versuchte, sich an jedes einzelne Wort zu erinnern. Anne legte den Stift beiseite. Sie glaubte, nun alle Verdachtsmomente gegen Herrn Schönemann zusammengetragen zu haben. Mit dem Zettel in der Hand stand sie auf und wanderte damit im Zimmer auf und ab. Laut las sie sich dabei ihre selbst entwickelte Indizienkette noch einmal vor.
• beim ersten Besuch hatte Schönemann so getan, als habe er nicht gewusst, dass es sich bei der Zeichnung auf seinem Schaufenster um ein Wappen handelt
• hat angeblich nichts von dem Mord in der Zeitung gelesen, hatte aber die Trauben in das entsprechende Zeitungspapier eingewickelt - und diese dann vorher nicht gelesen!?
• nach der Info meinerseits bezüglich der Existenz des Carovewappens in meiner Wohnung erfolgte der Einbruch
• Schönemann musste irgendwoher wissen, dass hinter dem Wappen irgendetwas versteckt war, hat danach gesucht
• beim zweiten Besuch konnte Schönemann sich sehr genau an mich erinnern, wusste, dass ich im Haus Venedig wohne (Carovewappen an der Außenfassade), wusste also wesentlich mehr, als er vorher zugegeben hatte
• seltsame Erklärung, dass er nur keine Lust gehabt hätte, einer, (Zitat): „Hobbyhistorikerin“ mehr dazu zu erklären
• blauer Lieferwagen (Aussage Barbara und Hannes, bzw. Dr. Feld)
• Schmuck, den er haben will oder angeblich zurückfordern (Audio - CD Claire) ist alter Caroveschmuck
• Mutter ist eine geborene Carove, Heirat mit einem Schönemann, also ist deren Sohn Anton Schönemann Nachfahre von Carove
Anne blieb mit dem Zettel vor dem Kamin stehen. Sie kam sich vor wie ein Staatsanwalt beim Schlussplädoyer. Sie fuchtelte vor dem alten Wappen mit dem Papier herum. „Ambrosius“, flehte sie, „bitte hilf mir. Wenn dieser Mensch irgendetwas mit deiner Ahnenreihe zu tun hat, dann tu doch irgendetwas. Ein Mensch ist schon gestorben. Wegen dieses verdammten Schmucks.“
Anne schluckte laut. Sie sah auf das Wappen. So, als könnte sie direkt hineinsehen. Es war ihr, als könnte sie die Anwesenheit von Ambrosius spüren. Seine Gedanken in ihrem Kopf. Plötzlich war ihr ganz kalt. Es gab keine Erklärung. Sie fühlte es einfach. „Ich weiß“, flüsterte sie ihrem unsichtbaren Gegenüber zu, gerade so, als wollte sie ihn beruhigen und trösten. Am liebsten hätte sie Ambrosius in den Arm genommen. „Ich weiß. Nicht nur ein Mensch ist deswegen gestorben … du auch … ich weiß es.“
Ihr war heiß und kalt gleichzeitig. „Trotzdem muss es aufhören“, schrie sie in ihre leere Wohnung. „Es ist genug!“
Anne versuchte noch einmal, Hannes zu erreichen. Zwecklos. Sie musste es tun. Sie musste es allein tun. Noch einmal las sie den Zettel in ihrer Hand. Es gab keine Zweifel. Sie erinnerte sich an das Foto, das sie von Michael bekommen hatte. Wo hatte sie es nur hingeworfen? Anne rannte zum Schreibtisch. Dort in der Ablage lag der sorgsam zusammengefaltete Computerausdruck. Ein älterer Mann mit Brille und Baseballmütze. Er wühlte in ihrem Müll. Mit viel Fantasie konnte sie den Verkäufer mit seinen grauen Haaren und seiner grünen Schürze darin wieder erkennen. Er war es. Eindeutig.
Anne warf beides, Bild und Zettel, auf den Esstisch. Kurz entschlossen schnappte sie sich das Telefonbuch. Es war eine ältere Ausgabe. Anne war es immer zuviel, sich auf dem Postamt die neueste zu holen. „Scheißegal“, fuhr es ihr durch
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