Das Kreuz des Zitronenkraemers
den Kopf. Eine Erinnerung in Farbe. „Den Laden habe ich vor dreißig Jahren übernommen … “ Wahrscheinlich von den eigenen Eltern … nur das hatte er nicht erwähnt.
So alt war ihr Telefonbuch nun wieder auch nicht.
Anne blätterte. Schönemanns gab es viele. Dann fand sie ihn. Ganz am Anfang der Reihe.
Schönemann, Anton. Lebensmittel und Obst.
„Was machen denn Zitronenkrämer wohl heute?“ „Na, Obsthändler oder so … “, Jutta in ihrem Hirn lachte sie aus.
„Ich dämlicher Idiot“, Anne hätte sich am liebsten selbst verprügelt. „Ich hatte an ihn gedacht. Nach dem Einbruch. Aber er war ja so nett.“
Anne musste sich zur Raison rufen. Wenn sie weiter so brüllte würde bestimmt bald Frau Wilhelms von nebenan auf der Matte stehen.
Sie wählte die Nummer. Es tutete. Plötzlich: „Schönemann“, seine Stimme war kurz und hektisch. Anne hörte ihn atmen. Sie selbst hielt die Luft an. Ein paar Sekunden Stille. Dann wieder er: „Hallo?“ Anne wartete. Sie brachte keinen Ton heraus. „Frau Seifert? Sind Sie das? Warum haben Sie denn eben nicht bei mir geklingelt? Ich hätte Ihnen die Tür geöffnet.“
Anne legte auf und warf den Hörer auf den Teppich. Es war wie ein Reflex. So, als hätte sie sich die Finger verbrannt.
„Er kennt meinen Namen.“ Anne fühlte die Schweißperlen. Wie in Zeitlupe ging sie zur Wohnungstür. Die Kette rasselte leise, als sie sie einhing.
„Er hat mich gesehen. Es war kein Lichtreflex. Die Gardine hatte sich bewegt. Er hatte dahinter gestanden und mich beobachtet!“ Anne fühlte sich wie auf dem Präsentierteller. Wie das Kaninchen vor der Schlange. „Er weiß, wie ich heiße. Er weiß, wo ich wohne, er weiß alles.“ Anne fühlte die Angst wie einen Ring, der sich ihr um die Brust schnürte. Tief ein und ausatmen. Sie hatte mal einen Yogakurs belegt.
Sie nahm ihr Handy und ließ es noch einmal Hannes Nummer wählen. Dann erzählte sie alles der Mailbox. Dass sie ihn gefunden habe. Dass er weiß, wer sie ist und wo sie wohnt. Dass sie ihn angerufen hat. Dass Hannes unbedingt sofort zurückrufen soll. Dass sie furchtbare Angst hat …
Sie hatte kaum aufgelegt, als das Telefon klingelte. Sie wartete, bis der Anrufbeantworter seinen Job erledigte. Dann der Pfeifton. Dann er. „Warum haben Sie denn aufgelegt? Sollten wir uns nicht mal treffen?“
Fieberhaft überlegte Anne, woher er ihre Geheimnummer haben konnte. Kein Eintrag im Telefonbuch und auch nicht über die Auskunft zu erfragen.
Was sollte sie jetzt machen? „Angriff ist die beste Verteidigung!“ Von wem stammte eigentlich dieser dämliche Spruch? Egal. Vielleicht war ja was dran. Eine andere Chance hatte sie sowieso nicht. Entschlossen hob sie den Telefonhörer auf.
„Ich habe die Papiere, die Sie gesucht haben.“ Anne wunderte sich darüber, wie fest ihre Stimme klang.
„Dachte ich mir.“ Sie hörte ihn wieder keuchen. „In einer halben Stunde. Im Nells Park. Am Weiher.“
Er hatte aufgelegt.
Sie legte den blinkenden Hörer auf den Tisch. Immerhin hatte der AB seine Stimme aufgezeichnet. Zumindest solange, bis sie das Gespräch angenommen hatte. Sie legte den Hörer neben das Foto und den Zettel mit ihrer Beweisliste. Dann ging sie noch mal zum Schreibtisch. Sie packte die Übersetzungen von Dr. Mezza in eine lederne Aktentasche. Dabei fielen die Faxe von Claire mit den Zeitschriftenauszügen heraus. Anne wusste gar nicht mehr, dass sie die auch noch eingepackt hatte. Sie legte sie zusammen mit den Originalen und Kopien in die oberste Schublade.
Sorgsam schloss sie ihre Wohnungstür von außen ab. Sie ging ruhig die Treppe runter, aus dem Haus, die Johannisstraße herunter, durch die Feldstraße bis zu ihrem Parkplatz. Noch war kein Feierabendverkehr. Sie würde Nells Park mit dem Auto schnell erreichen.
Sie stellte den Wagen auf dem Parkplatz des Nells Parkhotels ab. Nervös hatte sie vorher eine Runde um die anderen Autos gedreht. Der blaue Lieferwagen war nicht dabei. Anne schaute auf die Uhr. Es war Zeit. Sie kontrollierte noch einmal die kleine Dose mit dem Pfefferspray. Die Übersetzungen von Dr. Mezza warteten in der schmalen Aktentasche auf ihren Auftritt.
Also gut. Dann ging’s los.
Mit festem Schritt wanderte sie um die Hotelanlage herum und betrat den Park durch den Haupteingang. Der Weiher lag still und ruhig direkt geradeaus. Jemand ruderte mit einem kleinen Boot darauf herum. Ansonsten war keine Menschenseele zu sehen. Alles friedlich. Doch. Dort hinten,
Weitere Kostenlose Bücher