Das Kreuz des Zitronenkraemers
der Arbeit im Weinberg in den Ohren. Aber konnte Hannes jetzt einfach unbesorgt im Weinberg arbeiten und Andreas seinem Schicksal überlassen?
Es klopfte am Küchenfenster.
„Wann kommst du denn endlich?“, hörte er Peter rufen. Das hatte jetzt noch gefehlt. Womit sollte Hannes ihn nun schon wieder vertrösten? Entschlossen öffnete sein Angestellter die Terrassentür und betrat festen Schrittes Hannes Küche.
„Hannes“, begann er energisch, „Liebe hin oder her, so kann das nicht weitergehen. Deine Weinberge vergammeln, wenn du nicht bald in die Gänge kommst! Du hast einen Vollerwerbsbetrieb, falls du das vergessen hast. Nun zieh dich endlich an und dann los. Ich trink in der Zwischenzeit noch was. Diese Hitze macht einen verrückt. Und du verdrückst dich diesmal nicht!“
Er rüttelte an Hannes Schulter. Als ob er ihn nicht verstanden hätte. Langsam stand Hannes auf und schlich sich wie ein geprügelter Hund die Treppen hinauf. Sicher, anziehen musste er sich sowieso. Aber in den Weinberg, in dieser Lage? Irgendwas musste Hannes doch unternehmen, die Zeit lief davon.
Nachdenklich zog er sich ein T - Shirt über und schlüpfte in ein paar Shorts. Es war bereits jetzt schon heiß. Das Telefon klingelte. Es hatte schon ein paar Mal an diesem Morgen geklingelt. Aber Hannes hatte keine Lust auf irgendwelche Kundengespräche. Und wenn einer noch nicht mal was auf den Anrufbeantworter quatschen konnte, würde es wohl nicht so wichtig gewesen sein. Jetzt klingelte es wieder. Einmal, zweimal – der AB sprang an. Ein markerschütternder Schrei ertönte.
„Hannes – bitte! Der Finger, der Finger!“ Hannes rannte die Treppe hinunter und stürzte in die Küche. Claire! Wo war das verdammte Telefon?
„Er hat mir seinen Finger mit der Post ...“ Da war es, neben der Mikrowelle. Mit einem gewaltigen Satz erreichte Hannes das Gerät und drückte den grünen Hörer.
„Claire? Bist du es?“, fragte er überflüssigerweise. Peter saß wie versteinert am Tisch und starrte ihn entgeistert an. Hannes lief ins Wohnzimmer. Weg von diesem Blick.
„Er hat seinen Finger mit der Post geschickt! In eine halbe Zitrone gesteckt!“, schrie sie hysterisch. „Ein Brief liegt auch bei. In einer Woche folgt der Rest! Mehr nicht!“
Sie schluchzte nur noch. Hannes stockte der Atem, was sollte er auch sagen.
„Am besten, du kommst her!“, hörte er sich plötzlich selbst. „Wir bekommen das hin. Ich finde Andreas. Lass dich fliegen. Hast du jemanden?“ Was rede ich nur für einen Unsinn! Wie soll ich ihn finden, überlegte Hannes im selben Augenblick.
„Ja, sicher“, schluchzte sie. „Einer der Fluglehrer hat sicher Zeit. Ich komme sofort.“
„Komm zu mir, am besten mit einem Taxi. Ich warte. In der Zwischenzeit mache ich einen Plan.“ Ein lang gezogener Ton erklang. Sie hatte aufgelegt. Wie in Trance legte Hannes das Gerät auf die Ladestation.
Er drehte sich um und sah Peter direkt in die Augen. Er hatte alles mit angehört.
„Was ist hier los?“, fragte er.
Hannes antwortete nicht. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Er hatte es getan. Den Finger abgehackt. Wohl schon letzte Woche. Heute war Montag, er hatte ihn also spätestens Samstagmorgen abgetrennt und dann mit der Post verschickt. Und es war heiß, sehr heiß. Die Fliegen hatten Hochsaison. Hannes dachte an einen der letzten Wildunfälle Ende Mai. Ein Motorradfahrer hatte auf der Kahlbach einen Frischling erwischt. Erst zwei Tage später hatte Hannes das Stück gefunden. Hunderte von Fliegen hatten in den zerfetzten Hinterläufen ihre Eier abgelegt. Hannes Magen rebellierte. Er spülte den auftretenden Würgereiz mit einem großen Schluck Cognac direkt aus der Flasche hinunter.
„Du hast Probleme, stimmt’s?“, holte ihn Peter wieder in’s Wohnzimmer zurück. Er stierte Hannes an. „Hängt das mit dem Mord zusammen? Es tut mir leid, habe alles mit angehört. Die Dame war auch wirklich nicht zu überhören.“
Hannes nickte nur. Was sollte er auch alles abstreiten? Wahrscheinlich stand dieser Andreas auch bald in der Zeitung. Wie sein Bruder. Grausige Entführung mit Todesfolge an der Mosel, Hannes konnte die Überschrift des TV schon vor sich sehen.
Langsam ließ er sich auf die Couch sinken. Er griff wieder zur Flasche und füllte zwei Gläser mit Cognac. Irgendwie musste er seine Nerven beruhigen.
„Wer ist dieser Andreas? Hat er was mit dem ermordeten Steinmetz zu tun? Ist das etwa der flüchtige Bruder, von dem die
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