Das Kreuz des Zitronenkraemers
am anderen Ende des Parks war noch jemand. Eine junge Frau führte einen kleinen Hund aus.
Anne sah sich weiter um. Von Schönemann weit und breit nichts zu sehen. Langsam setzte sie ihren Weg Richtung Teich fort. Sie hatte das träge stehende Wasser fast einmal komplett umrundet, als sie ihn sah. Er saß auf einer Parkbank. Er beobachtete sie. Anne blieb stehen. Eben war diese Bank noch leer. Wie war er so plötzlich dorthin gekommen?
Er fütterte Tauben. Anne bahnte sich einen Weg durch die immer zahlreicher werdenden Vögel. Ihr Mund war ganz trocken. Sie schluckte ein paar Mal und benetzte ihre Lippen mit der Zunge. Dann räusperte sie sich kurz und setzte sich neben ihn. Niemand sprach ein Wort.
Anne hielt krampfhaft die Aktentasche fest. Sie musste aufpassen, dass sie ihr nicht aus den schweißnassen Händen rutschte.
„Diese Vögel lassen einen nicht mehr in Ruhe, wenn man einmal angefangen hat.“ Er warf ein paar weitere Brotkrumen aus einer Papiertüte. Gut. Es hatte begonnen.
„Und Sie können auch nicht mehr aufhören, jetzt da Sie angefangen haben, nicht wahr?“ Annes Stimme war ganz klar. Obwohl sie sich eigentlich sicher war, gleich mehrere Frösche auf einmal in ihrer Kehle zu beherbergen.
Er sah sie an. Seine Augen glänzten. „So ist es wohl.“ Er stand auf. „Kommen Sie, gehen wir ein Stück.“
Anne folgte ihm. Bald spazierten sie gemeinsam durch die Parkwege wie irgendwelche Menschen, die sich in der Ruhe der Natur erholen wollen. Niemandem wären der ältere Herr und die junge Frau an seiner Seite aufgefallen. „Guten Tag“, freundlich grüßte Herr Schönemann die Frau mit ihrem kleinen Hund, der ungeduldig an seiner Laufleine zerrend an ihnen vorbeihüpfte. Die Frau erwiderte den Gruß nicht. Anne erkannte Stöpsel in ihren Ohren, die wohl mit einem Walkman verbunden waren. Annes Gedächtnis schickte ihr eine blasse Erinnerung in die vorderen Hirnwindungen. Ein Mann mit Strohhut, die Apfelplantage in der Nähe des Zitronenkreuzes. Er hatte sie nicht zurückgegrüßt. Sie hatte sich sehr darüber aufgeregt.
Das war er. Er wollte nicht, dass sie ihn erkennt. Anne spürte ihr T - Shirt schweißnass am Rücken kleben.
„Seit wann beobachten Sie mich eigentlich schon?“ „Oh, seit der Himmel Sie das erste Mal in meinen Laden geschickt hat.“ Er blieb stehen. „Wissen Sie, ich glaube nicht an Zufall. Dies alles geschieht nach einem Plan. Alles passt zusammen. Gott hat es so gewollt. Deshalb hat er Sie zu mir geführt.“
Anne war ebenfalls stehen geblieben. Sie sah dem Mann in die dunklen Augen. „Wo ist Andreas Steinmetz?“
Zuerst dachte Anne, der Mann wolle lachen. Aber er verzog sein Gesicht nur zu einem extremen Ausdruck des Grübelns. „Auch sein Auftreten hier war Fügung.“ Das war alles. Er ging weiter. Anne blieb noch stehen. „Und Bernd Steinmetz?“, flüsterte sie ihm hinterher. Sie wusste nicht, ob er sie gehört hatte. Aber er drehte sich um. „Sein Schicksal. Für ihn vorherbestimmt.“
Anne stolperte ihrem Begleiter, der seinen Spaziergang wieder aufgenommen hatte, hinterher. „Sein Schicksal? Das ist alles?“ Endlich war sie mit ihm wieder auf gleicher Höhe. „Sie waren derjenige, der sein Schicksal besiegelt hat!“
„Ja. Dies war meine Aufgabe.“
Dieser Mann war wahnsinnig. Vollkommen emotionslos hatte er soeben in Annes Anwesenheit den Mord an Bernd Steinmetz gestanden. Jetzt schlenderte er vor ihr her. Ganz locker, die Hände hinter seinem Rücken verschränkt. Er pfiff ein paar Spatzen zu, die aufgeregt vom Boden auf einen Baum flüchteten, als sie näher kamen.
„Wo ist Andreas Steinmetz?“, fragte Anne noch einmal eindringlich.
Schönemann warf die Frage mit einem kurzen, harten Lachen beiseite. „Reden wir übers Geschäft.“ Beide waren wieder stehen geblieben. Endlich. Die Verhandlungen waren eröffnet.
„Sie haben also gefunden, was mein Vorfahr für seine Familie versteckt hat?“
„Ja.“ „Dann geben Sie mir, was mir gehört … ich bin der letzte der Familie!“
„Sagen sie, woher wussten Sie, wo die Papiere waren?“
Er überlegte kurz. „Mündliche Überlieferung. Von Generation zu Generation. Zuletzt nur noch verschwommene Legende. Aber ich habe immer daran geglaubt. Hinter dem Wappen … Das war alles, was im Laufe der Jahrhunderte an Information übrig geblieben war. Das Wappen an der Außenfassade des Hauses konnte nicht gemeint sein. Denn das ist lange nach Ambrosius Carove aus dem Innenteil des Hauses nach
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