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Das Kriegsbuch

Das Kriegsbuch

Titel: Das Kriegsbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis (Hrsg)
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die Baracke zurück. Hier entledigten sie sich ihrer Zivilkleidung und zogen Arbeitszeug an. Auf diese Weise war bald jeder – abgesehen von wesentlichen Unterschieden in Körpergröße und Hautfarbe – ein mehr oder weniger genaues Spiegelbild seines Nächsten. Nur ein Element fehlte jetzt noch, um die Metamorphose vollständig zu machen.
    Am Vortage hatte nach der Ausweisausgabe jeder Mann sieben Dollar Vorschuß erhalten, damit er sich die wenigen Dinge, die nicht vom Quartiermeister ausgegeben wurden, selbst beschaffen konnte – vorwiegend Toilettenartikel. Außerdem war das Geld für einen Haarschnitt bestimmt. Die Schlange vor dem gelben Friseurladen war die längste und langsamste, die Bruce jemals erlebt hatte – trotz der sichtlichen Eile, mit der hier gearbeitet wurde. Jeder Rekrut, der das Gebäude verließ, rieb sich traurig den kurz-geschorenen Kopf oder hatte seine Arbeitsmütze bis über die Ohren herabgezogen.
    Obwohl drei Friseure am Werk waren, war es im Laden seltsam still. Die Friseure ödete ihre Arbeit an, die nur darin bestand, die Seiten der Köpfe mit einer Schermaschine zu bearbeiten und dann oben noch einmal mit einem etwas längeren Scherblatt nachzuhelfen. Auf dem Linoleum häufte sich das abgeschnittene Haar wie gedroschenes Korn auf der Tenne. Bruce stellte überrascht fest, daß die elektrischen Haarschneidemaschinen sehr heiß waren; sie wurden fast ständig benutzt und konnten nicht abkühlen.
    Da Bruce sein Haar im Sommer sowieso sehr kurz trug, sah er die Behandlung nicht als besondere Schmach an. Andere Rekruten jedoch schienen ihren Verlust schmerzlicher zu empfinden und protestierten gegen die Radikalkur, obwohl sie sich sagen mußten, daß es sinnlos war. Manche baten auch darum, das Haar »vorne noch etwas länger« tragen zu dürfen. Einer der Friseure ging gutgelaunt auf diese Bitten ein, ohne na türlich jemals danach zu verfahren, während der ande re, ein mürrischer Mann von sechzig, sich über einen sei ner Kunden – dessen Haar bis über die Ohren gewachsen war – so aufregte, daß er ihm heftig mit dem Scherblatt über den Kopf fuhr. Dabei stieß er gegen einen der natürlichen Schädelvorsprünge und rief einen fünf Zentimeter langen Schnitt hervor. Blutverschmierte Haare rieselten vor dem Gesicht des Jungen herab, aber nach einer Säuberung erwies sich die Wunde zum Glück als nicht sehr schwerwiegend.
    Bruce verließ den Friseurladen und rieb sich traurig den Kopf. Irgendwie war Blut des anderen Rekruten an seine Hand gekommen.
    Bei der Rückkehr in die Baracke traf er seine Stubenkameraden in größter Aufregung an. Während ihrer Abwesenheit hatte jemand das Gebäude betreten und sich an einem Pfosten des Treppengeländers aufge hängt. Einige behaupteten, es wäre der Master Sergeant gewesen, der sie am ersten Abend vom Flughafen herbe gleitet hatte; andere vertraten die – logischere – An sicht, daß es sich um einen der jüngeren Soldaten gehandelt hatte, vielleicht um einen der drei, die sich unerlaubt entfernt hatten – oder um O’Brien (der – wie sich spä ter herausstellte – mit inneren Verletzungen ins Lazarett gekommen war). Andere wiederum – und dieser Grup pe gehörte auch Bruce an – waren erst nach dem Abtransport der Leiche gekommen und bezweifelten, daß sich überhaupt ein solcher Zwischenfall ereignet hatte. Man zeigte ihnen jedoch das Ende des Seils, das noch an dem Holzpfosten hing.
    Bruce ging in den Waschraum, um sich sein neues Gesicht im Spiegel anzusehen. Mehrere andere Rekruten waren offenbar aus dem gleichen Grunde hier, auch wenn sie vorgaben, sich die Zähne zu putzen oder sich zu rasieren. Sein Gesicht hätte sich gegen jedes andere Gesicht im Spiegel austauschen lassen.
     
    Während Ihrer Karriere in der Armee sind Sie die meiste Zeit Teil eines Teams, und man erwartet von Ihnen, daß Sie hier die Ihnen gemäße Rolle übernehmen. Da bei geht es nicht darum, etwas zu geben und nichts da für zu bekommen; sondern wenn Sie Ihre Gruppe stärken, wird sie es Ihnen auf gleiche Weise lohnen. Je mehr man hineinsteckt, desto mehr bekommt man heraus. Das ist einer der wichtigsten Tatsachen des Armeele bens – und überdies am schwierigsten in Worte zu fas sen. Sie werden mit der Zeit erkennen, daß Ihre Gruppe nicht nur ein Haufen Männer ist, sondern daß sie eine Art eigenständige Person bildet. Das trifft vorwiegend auf Regimenter, Bataillone und Divisionen zu.
    Aus dem AH 21-13
     
    Am nächsten Morgen wurde Bruce

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