Das Kriegsbuch
normalem Gesprächston und verlangte nicht einmal, daß die jungen Männer Haltung annahmen. Sie waren alle etwas enttäuscht, nachdem sie damit gerechnet hatten, zuerst ein wenig schikaniert zu werden.
Sie wurden in eine Notbaracke geführt und erhielten den Befehl, in fünfzehn Minuten zum Essen anzutreten. Aber als sie sich aufgestellt hatten, holte sie niemand ab, und da sie nicht wußten, wo der Eßsaal lag, blieb ihnen nichts anderes übrig, als mit knurrendem Magen in die kalte Baracke zurückzukehren. Sie saßen auf den in düsterem Olivton gehaltenen Kojen und warteten lange darauf, daß jemand das Versehen bemerkte – aber es ließ sich niemand sehen, und so mußten sie sich hungrig schlafen legen. Vielleicht war es auch gar kein Versehen, überlegte einer der Jungen laut.
Mutig zu sein bedeutet nicht, daß man sich zugleich nicht auch fürchtet. Echter Mut ist es, seine Furcht zu überwinden. Es ist nur natürlich, wenn sich Soldaten im Kampfe fürchten, und die meisten Soldaten haben schon Angst gehabt, aber sie haben trotz ihrer zitternden Hände und ihres klopfenden Herzens weitergemacht. Tatsächlich kann ein wenig Angst schon ganz nützlich sein. Ärzte vertreten die Auffassung, daß Furcht und Zorn die Reflexe beschleunigen und Kraft zu besonderen Anstrengungen geben.
Aus dem AH 21-13
Am nächsten Morgen stellte Bruce fest, daß er nun doch in der Armee war. Er wurde von greller Helligkeit und einem Schwall obszönen Gebrülls geweckt, so daß er sich in den ersten unklaren Augenblicken gar nicht zurechtfand; als sich sein Kopf endlich klärte, stand er bereits in der ersten Morgendämmerung draußen vor der Baracke, wo der Sergeant die jungen Rekruten wissen ließ, sie sähen wie ein Haufen kranker Babies aus. Er begriffe einfach nicht, warum man ihm keine Männer mehr schickte. Es mache ihn krank, sie nur anzusehen. Naja, die Armee würde sie schon zu Männern machen, wenn das überhaupt möglich war, und wer glaubte denn wohl, daß es möglich wäre …?
Es herrschte allgemeine Übereinstimmung, daß das möglich wäre.
Aber der Sergeant war taub und verlangte erneut zu wissen, wie viele denn diese Meinung vertraten.
Sie alle !
Der Sergeant konnte sie immer noch nicht verstehen.
SIE ALLE!
»Da liegt ihr verdammt richtig! Und am besten zeigt ihr sehr schnell, was in euch steckt, oder …« Der Sergeant ließ seine Drohung unausgesprochen in der Luft hängen. Oder, so hatte er wohl sagen wollen, etwas Schlimmes würde mit ihnen geschehen.
Dann wurde den Rekruten befohlen, in Reihen anzutreten, was leichter klang, als es tatsächlich war. Jeder Rekrut hatte seine eigene Vorstellung davon, wie er Haltung anzunehmen und sich neben den anderen aufzustellen hatte. In dem Bemühen, diese Vorstellungen zu korrigieren, steigerte sich der Sergeant mit der Zeit immer mehr in Wut. Wie es der Zufall wollte, stand Bruce im ersten Glied, und er begann sich schon Sorgen zu machen, daß der Sergeant vielleicht auf ihn als Opfer seines beißenden Humors verfallen würde. Er zog den Bauch ein, reckte das Kinn, drückte die Brust vor und starrte geradeaus. Aber der Sergeant ging an ihm vorbei, ohne Notiz von ihm zu nehmen. Innerlich mußte Bruce lächeln, gab sich jedoch große Mühe, diese Regung nicht nach außen dringen zu lassen.
Er war jetzt ein Soldat, ein GI.
Als Soldat sind Sie stets Kämpfer. Sie sind bereit, zur Verteidigung Ihres Landes im Kampf Ihr Leben zu geben. Das ist die Grundlage Ihres Verhaltenskodex’.
Aus dem AH 21-13
Als der Sergeant seine erste Inspektion beendet hatte, ging ein kaum hörbarer Seufzer durch die vier Reihen des Zuges. Zur Erwiderung ließ der Sergeant seinen Blick wie ein Insekt über die Reihen von Gesichtern wandern und schien sich schließlich auf Bruce zu konzentrieren. Doch sein Interesse galt einem Soldaten, der in der zweiten Reihe hinter Bruce stand.
»Ziehen Sie den Bauch ein!« schrie der Sergeant sein Opfer an.
»Ich versuch’s ja, Sir.« Bruce erkannte das stimmbrüchige Organ des Sündenbocks. Es gehörte O’Brien, einem dicken, verhinderten Studenten, der dem äuße ren Anschein nach viel zu jung für den Wehrdienst war.
»Sie halten gefälligst den Mund, Dicker, bis ich Ih nen das Reden gestatte!«
»Jawohl, Sir.«
»Und ziehen Sie den Bauch ein!«
Es folgte ein langes Schweigen, dann ertönte das Geräusch eines Schlages, den der Sergeant dem Jungen in den weichen Bauch versetzte. Nach dem dritten Hieb riskierte Bruce einen
Weitere Kostenlose Bücher