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Das Kriegsbuch

Das Kriegsbuch

Titel: Das Kriegsbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis (Hrsg)
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der auch jetzt noch automatisch Haltung annahm. Davis konnte sich förmlich vorstellen, daß er tiefschwarz gewienerte Kampfstiefel trug.
    »Was nun unser Hereinkommen angeht«, sagte der Dünne, »ja, da läßt sich vielleicht behaupten, daß ein paar Mitarbeiter von Ihnen Sie mit ganz außerordentli chen Unterlagen und … Empfehlungen aufgesucht ha ben.« Wieder lächelte er, und die Haut straffte sich auf seinem Gesicht. »Natürlich wird es keine Unterla gen über unseren kleinen Besuch geben.«
    »Ich verstehe.«
    Der Mann zündete sich wieder eine Zigarette an und warf das Streichholz in den Aschenbecher, wo sofort kleine Aschewölkchen aufstiegen. Als er die Zigarette zum Mund hob, bemerkte Davis erneut den seltsamen Widerspruch an diesem Mann – die Entspanntheit des ganzen Körpers und die Nervosität seiner Hände.
    »Gut.« Von der Zigarette, die er reglos vor sein Gesicht hielt, ringelte sich blauer Rauch zur Decke und schwebte in den Lichtkegel. »Haben Sie Lust zu einem kleinen Plausch, Mr. Davis?« Die Stimme hinter der Zigarette.
    Davis schüttelte den Kopf.
    Schweigen. Rauch.
    »Nein? Und ich hörte, Sie hätten so viel zu sagen, Dinge, die Ihnen ganz dringend auf der Zunge brannten.«
    Der Mann setzte sich auf dem Stuhl zurecht, streckte die Beine aus und legte die Füße überkreuz. Ein Stück Asche fiel ihm vorn auf den Mantel, flammte einen Augenblick auf, ehe das winzige Feuer erlosch. Er saß ganz ruhig da. Nur sein Arm bewegte sich noch, brach te die Zigarette hoch zum Mund, vom Mund weg, hoch zum Mund …
    Schließlich: »Auflehnung, Mr. Davis. Wollen wir mal von Auflehnung sprechen?«
     
    Seine Frau geht im Zimmer oben hin und her und be ruhigt das Kind. Er hört ihre Schritte, ihre leise Stim me, das nachlassende Schluchzen des Kindes. Manchmal befürchtet er, daß sie das Kind zu sehr verwöhnen – es bedeutet ihnen so viel nach der schweren Schwangerschaft. Und er befürchtet, daß er daran schuld war als Folge des Fehlschlages seiner ersten Ehe.
    Er hört die Uhr schlagen, als das Mädchen wieder ins Bett gelegt wird, und während die melodischen Klänge durch das Haus hallen, wandern seine Gedanken. Er war sieben. Seine Mutter verschwand und brachte das neue Kind mit …
    (Das Kind schlief: das war das ganze Haus.
    Er lag im Bett, beobachtete die Bewegung der Autoscheinwerfer an der Decke und wartete, bis seine Eltern im Bett waren. Dann schlich er sich leise über den Flur ins Kinderzimmer, stellte sich neben die Wiege und sah auf den seltsamen, zerbrechlichen kleinen Körper hinab, und die Hilflosigkeit dieses Wesens erzürnte ihn. Er hob eine Hand und schlug zu, und noch einmal, und immer wieder – bis die Schreie des Babys die Mutter aufweckten und sie herbeigestürzt kam.
    Als sie das Kinderzimmer erreichte, hatte er das Kind in den Armen und wiegte es beruhigend und weinte vor sich hin.)
    Als seine Frau ins Wohnzimmer zurückkehrte, dach te er an kleine Körper, die schwarz wie Indianer waren – Körper, die seltsam verrenkt auf Feldern lagen.
    »Sie war nur verängstigt«, sagte seine Frau.
    »Jane«, sagte er. »Ich kann nicht mehr.. Ich mache nicht länger mit.«
     
    »Ihre Telefonate, Ihre Vorbereitungen – das alles war natürlich schnell bekannt. Sie verstehen: Patriotismus, Pflichterfüllung. Das wird heutzutage noch hochgehalten.«
    Er schaute auf die Papiere unter Davis’ Arm.
    »Sie sind ein Mann der Praxis, Mr. Davis. Sie verstehen, wie alles ineinandergreift, wie etwa die Dinge in Angriff genommen werden müssen – sonst wären Sie nicht in der Position, die Sie heute bekleiden.« Wieder das Lächeln, das Straffen der Haut. »Und Sie sind ein wichtiger Mann, ein sehr wichtiger Mann.« Er richtete sich auf und beugte sich vor. »Aber das wissen Sie auch, nicht wahr? Deshalb sitzen Sie doch heute nacht hier, deshalb haben Sie doch all die … Vorbereitungen getroffen – heute nachmittag. Die Sache hat zwei Seiten. Aber vor allem müssen Sie sich fragen: wie wichtig ist das alles?«
    Er beugte sich noch weiter vor und berührte mit einer Hand den Silberrahmen. Er drehte ihn herum und betrachtete das Bild einen Augenblick aus der Nähe. »Ihre Frau.« Er stellte den Rahmen wieder auf den Rusch und sah Davis an. »Eine schöne Frau.« Als er die Hand an den Mund hob, bemerkte Davis, daß die Zigarette mit ihrem glühenden konischen Ende wie ein Geschoß wirkte.
    »Moment, wie alt ist doch Ihr Sohn noch gleich – Dave heißt er, wie? Neunzehn? Studiert Geschichte

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