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Das Kriegsbuch

Das Kriegsbuch

Titel: Das Kriegsbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis (Hrsg)
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Während sich die dunstige Stelle an der Scheibe ausbreitete, undurchsichtiger wurde und an dem Licht zu zerren begann, sagte Davis einen Vers auf, an den er sich aus seiner Schulzeit erinnerte – an den Raum gerichtet, der ihm über die Schulter lugte:
     
    »›Es war doch seine Pflicht,
    nur seine Pflicht hat er getan -‹
    Sagt Judy, arme Judy,
    zur Marionettenschnur.«
     
    Davis betrachtete seinen Atem, sein Gesicht in der beschlagenen Fläche. Der Rand begann zu dunkeln und einwärts zu wandern; Kreis um Kreis wich er zurück und löste sich schließlich im eigenen Zentrum auf.
    Als die Scheibe wieder klar war, war auch der Wagen verschwunden. Und das Dunkel war absolut.
    Die Dunkelheit, die uns umgibt.

DIE WAFFE
 
von Fredric Brown
     
     
    Das Zimmer lag still in der Dämmerung des Spätnachmittags. Dr. James Graham, leitender Wissenschaftler eines sehr wichtigen Projekts, saß in seinem Lieblingssessel und überlegte. Es war so still, daß er hören konnte, wie sein Sohn im Nebenzimmer die Seiten eines Bilderbuches umschlug.
    Oft konnte er am besten arbeiten, am schöpferischsten denken, wenn er wie heute allein in einem unbeleuchteten Raum seiner Wohnung saß und die Tagesarbeit hinter ihm lag. Heute abend jedoch wollte sein Gehirn keinen konstruktiven Gedanken fassen. Er mußte immer wieder an seinen geistig zurückgebliebenen Sohn – sein einziges Kind – denken. Seine Gedanken waren von Liebe bestimmt, nicht von Bitterkeit und Pein wie damals, als er vom Zustand des Jungen erfuhr. Der Junge war glücklich; war das nicht vor al lem wichtig? Und wem war schon ein Kind geschenkt, das immer ein Kind bleiben würde, das niemals aufwachsen würde, ihn zu verlassen? Gewiß waren das hergesuchte Argumente, aber warum konnte man nicht – die Klingel schrillte.
    Graham stand auf und schaltete in dem fast völlig dunklen Raum das Licht an, ehe er durch den Flur zur Wohnungstür ging. Er war nicht ärgerlich; gerade in diesem Augenblick war ihm jede Unterbrechung seiner Gedanken willkommen.
    Er öffnete die Tür. Ein Fremder stand draußen; er sagte: »Mr. Graham? Ich heiße Niemand; ich hätte gern mit Ihnen gesprochen. Darf ich einen Augenblick hereinkommen?«
    Graham musterte seinen Besucher, einen kleinen, unscheinbaren Mann, der offensichtlich harmlos war – vielleicht ein Reporter oder Versicherungsvertreter.
    Aber das war im Moment unwichtig. Ehe er weiter nachdenken konnte, sagte er schon: »Natürlich. Kommen Sie doch herein, Mr. Niemand.« Eine kleine Un terhaltung, so rechtfertigte er sich sein Verhalten, lenk te ihn vielleicht von seinen Gedanken ab und machte seinen Kopf frei.
    »Setzen Sie sich«, sagte er, als sie im Wohnzimmer waren. »Möchten Sie einen Drink?«
    Niemand sagte: »Nein, danke.«
    Er setzte sich in den Sessel, und Graham nahm auf dem Sofa Platz.
    Der kleine Mann verschränkte die Finger und beug te sich vor. Er sagte: »Dr. Graham, Sie sind derjenige Mensch auf der Welt, dessen wissenschaftliche Tätigkeit mehr als die irgendeines anderen dazu beitragen wird, die Überlebenschancen der Menschheit zu zerschlagen.«
    Ein Verrückter, dachte Graham. Zu spät machte er sich klar, daß er den Mann nach seinem Anliegen hätte fragen sollen, ehe er ihn einließ. Die Unterhaltung versprach recht unangenehm zu verlaufen; grob zu werden, lag ihm nicht, doch das war hier das einzige angebrachte Mittel.
    »Dr. Graham, die Waffe, an der Sie arbeiten …«
    Der Besucher stockte und wandte den Kopf, als sich die Tür zum Nebenzimmer öffnete und ein fünfzehnjähriger Junge hereinkam. Der Junge bemerkte Niemand nicht; er eilte sofort zu Graham.
    »Pappi, liest du mir jetzt vor?« Der Fünfzehnjährige lachte das unbeschwerte Lachen eines vierjährigen Kindes.
    Graham legte einen Arm um den Jungen. Er sah seinen Besucher an und fragte sich, ob er über den Jungen Bescheid wüßte. Aus dem wenig überraschten Gesichtsausdruck schloß Graham, daß er informiert gewesen war.
    »Harry« – in Grahams Stimme lag seine ganze Lie be –, »Pappi hat jetzt zu tun. Nicht mehr lange. Geh wieder in dein Zimmer; ich komme dann gleich und lese dir vor.«
    »›Kleines Hühnchen‹? Liest du mir ›Kleines Hühnchen‹ vor?«
    »Wenn du möchtest. Jetzt lauf aber los. Einen Moment noch. Harry, das ist Mr. Niemand.«
    Der Junge lächelte den Besucher schüchtern an. Niemand sagte: »Hallo, Harry«, erwiderte das Lächeln und streckte die Hand aus. Graham, der die kleine Sze ne beobachtete, war jetzt ganz

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