Das kritische Finanzlexikon
Fondsmanager fällige Future-Positionen verlängern. Das nennt sich rolling . Durch permanente Verlängerung wird die Rohstoffanlage in eine Langfristform transformiert und somit als Spielzeug für Börsenritter nutzbar gemacht. Das rolling funktioniert folgendermaßen: Ein Spekulant verkauft beispielsweise einen Future über 1 000 Barrel Öl zum Preis von 120 US-Dollar pro Barrel, mit Fälligkeit in zwei Monaten. Nach zwei Monaten erhält er 120 000 US-Dollar. Liegt der Ölpreis zum Fälligkeitszeitpunkt über der Marke von 120 Dollar, hat er einen Verlust gemacht (er hat mit 120 Dollar einen zu geringen Preis kassiert), liegt er darunter, war das Geschäft erfolgreich. Beim rolling ist das aber zunächst nicht von Belang; der Spekulant verlängert sein Engagement und hofft auf (für ihn) bessere Zeiten. Angenommen, der Ölpreis notiert bei Fälligkeit mit 125 Dollar. Dann würde sein Erlös aus dem Future nur für einen Neuabschluss über 120 000 : 125 = 960 Barrel Öl reichen. Diese 960 Barrel sind aber nach wie vor 120 000 Dollar wert. Beim nächsten Fälligkeitstermin, also in zwei, drei oder mehr Monaten, rechnet unser Spekulant seine Position erneut durch. Bei einem Barrelpreis von 100 Dollar ergäben sich dann 1 200 Barrel für seinen Kontrakt. Die anfangs eingesetzte Summe von 120 000 Dollar wird also, unabhängig vom Ölpreis, immer weiter fortgeschrieben. So lange, bis sich die Position mit einem für den Spekulanten angemessen hohen Gewinn auflösen lässt.
Nun leugnen die Interessenvertreter der Finanzindustrie die zunehmende Spekulationsneigung an den Agrar- und Rohstoffmärkten wie gesagt keineswegs. Sie behaupten allerdings, dass es keinen logisch nachvollziehbaren Beweis für Preiserhöhungseffekte aufgrund dieses Treibens gibt. Möglicherweise »beweisen« sie diese These wiederum mithilfe mathematisch ausgeklügelter Modelle, die genauso zuverlässig sind wie das → Rating angeblicher Spitzenprodukte während der Finanzkrise ab 2007 oder heiße Anlagetipps von → Finanzanalysten .
Manchmal hilft jedoch der gesunde Menschenverstand schon weiter.
Unsere Börsenprofis werden nicht müde, das Renditepotenzial von Nahrungsmittel- und Rohstoffinvestments anzupreisen. Ihre Argumentation ist nachvollziehbar: Eine rapide wachsende Weltbevölkerung muss satt werden, Schwellenländer wie China, Brasilien oder Indien benötigen aufgrund ihrer üppigen Wirtschaftswachstumsraten immer mehr Rohstoffe. Das alleine dürfte bereits für Preissteigerungen sorgen. Wenn diese Entwicklung jedoch durch die Finanzindustrie propagandistisch ausgeschlachtet wird und Heerscharen von Anlageprofis auf die entsprechenden Spekulationsinstrumente setzen, sind erhebliche Verstärkungstendenzen des Preistrends zu erwarten. Einen Nachweis über den preistreibenden Effekt von Spekulationen an Rohstoffmärkten präsentierte unter anderem der ehemalige Chefökonom der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (Unctad), Heiner Flassbeck, in seiner Studie »Preisbildung in finanzialisierten Rohstoffmärkten. Die Rolle der Information«.
Besonders verwerflich ist, dass sich Spekulanten mit ihren immens hohen Geldsummen inzwischen auch in der realen Agrarwirtschaft tummeln und verstärkt als Käufer von Ackerland auftreten. Mehr als 200 Millionen Hektar Agrarland gingen gemäß einer Studie des Europaabgeordneten Martin Häusling in den vergangenen zwölf Jahren an staatliche, halbstaatliche und private Finanzinvestoren. Nach Schätzungen der Organisation GRAIN sind einige Hundert Investorengruppen und etwa ein Dutzend Regierungen involviert. Die auf diese Weise »eroberten« Landstriche entsprechen in ihrer Summe einer Fläche, die acht Mal so groß ist wie das United Kingdom (Großbritannien und Nordirland). Durch dieses landgrabbing werden schwächere Staaten und Kleinbauern an den Rand gedrängt; es profitieren Agrarkonzerne und Großgrundbesitzer.
Um die schädlichen Auswirkungen des Treibens der Finanzindustrie im Nahrungsmittel- und Rohstoffsektor zu begreifen, benötigt man kein mathematisches Modell.
S
Magiere unter sich
Ihr Kapital geht in die Billionen, und dennoch entziehen sie sich einer öffentlichen Kontrolle: die Schattenbanken . Bei ihnen geht es um die Maximierung von Anlegerprofiten und Finanzboni. Andere, sich nicht im Schatten tummelnde Unternehmen bevorzugen das Prinzip des shareholder value . Dabei bleiben die Nationalstaaten allerdings außen vor – die sind mit sich bereits hinreichend
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