Das kritische Finanzlexikon
ganz andere Rolle einnahm.
Wenn jemand Aktien der Unternehmen A, B, C und D erwirbt, hat er ein »Aktienportfolio«. Der Wert dieses Portfolios kann steigen oder sinken. Das Ausmaß der Wertveränderung des Gesamtportfolios hängt davon ab, wie sich die Einzelwerte A, B, C und D entwickeln. Steigen oder sinken alle Aktien, muss das Gesamtportfolio zwangsläufig ebenfalls steigen beziehungsweise sinken. Ein differenzierteres Bild ergibt sich, wenn sich die vier Einzeltitel unterschiedlich entwickeln. So kann beispielsweise der Fall eintreten, dass die Aktien A, B und C steigen, die D-Aktie hingegen sehr stark sinkt und somit auch das Gesamtportfolio an Wert verliert. Oder wenn die Kurssenkung bei D nicht sonderlich hoch ist, der Anleger jedoch eine im Verhältnis zu den anderen drei Aktien sehr große Anzahl D-Aktien in seinem Portfolio hat. Die Wertveränderung des Gesamtportfolios hängt also im Prinzip von zwei Faktoren ab – dem »Gewicht« einer Aktie (hier: Stückzahl) und dem Ausmaß der Kursschwankungen. Definiert man einen Ausgangswert für das Portfolio zum Startzeitpunkt der Berechnungen (zum Beispiel 100) sowie ein Verfahren zur Gewichtung der verschiedenen Aktien, kann man die Wertentwicklung permanent fortschreiben. Es ergibt sich ein → Index .
Ein solcher Index ist der DAX. Ihm liegt die Wertentwicklung der 30 umsatzstärksten deutschen Unternehmen zugrunde. Da diese 30 an der Börse gehandelt werden, ist der DAX ein Börsenindex. Das Gewicht eines jeden dieser 30 Kandidaten bestimmt sich nicht, wie in unserem Ausgangsbeispiel, einfach nach der Stückzahl der jeweiligen Aktien. Vielmehr wird zunächst einmal börsentäglich die von einer Gesellschaft vorhandene Anzahl an frei handelbaren Aktien (sogenannter Streubesitz oder »free float«, also jene Aktien, die theoretischen jeden Tag verkauft werden könnten und sich nicht im festen Besitz eines Großinvestors befinden) mit dem Kurs eines Börsentages multipliziert. Diese Multiplikation nennt man »Marktkapitalisierung«. Über ein mathematisches Verfahren wird dann das Gewicht ermittelt. An einem bestimmten Börsentag hat dann beispielsweise Adidas ein Gewicht von 2,39 Prozent, Allianz 7,28 Prozent und VW 3,30 Prozent.
Die Gewichte verschieben sich jedoch regelmäßig, da sich börsentäglich neue Kurse ergeben. Darüber hinaus können sich im Zeitablauf die Anteile der Aktien im Streubesitz ändern, zum Beispiel wenn ein ausländischer Konzern ein Aktienpaket an einem DAX-Unternehmen erwirbt. Zudem kann es vorkommen, dass ein Unternehmen aus dem DAX fliegt, weil sein Börsenwert stark sinkt und andere, bisher »kleinere« Aktiengesellschaften schon in den Startlöchern stehen.
Nun ist es keinesfalls so, dass sich die Funktion des DAX lediglich darauf beschränkt, eine Information über die Kursentwicklung der ihm zugrunde liegenden Aktien zu geben. Das wäre für die Finanzbranche auch nicht so ergiebig, denn durch den rein informatorischen Charakter lässt sich schließlich kein »Sentiment«, keine positive Stimmungslage, für spekulationsgetriebenes Handeln erzeugen. Nein, vielmehr hat der DAX Fetischcharakter erreicht und gleicht einem goldenen Kalb, um das Börsianer mit Inbrunst permanent herumtanzen.
Der DAX fungiert als:
• Benchmark: Eine Hürde, die übersprungen werden muss. Jeder bedeutende (oder sich für bedeutend haltende) Kapitalanleger oder Fondsmanager hat seine Benchmark. Investiert er sein betreutes Vermögen schwerpunktmäßig in deutsche Aktiengesellschaften, muss er den DAX übertrumpfen. Das kann aber auch heißen, dass er außerordentlich erfolgreich war, wenn er in einem Börsenjahr 10 Prozent Verlust gemacht hat – sofern der DAX im gleichen Zeitraum mit 15 Prozent im Minus lag.
• Modelliermasse: Der DAX wird nachgebildet und als modernes Finanzprodukt verpackt. Hat Adidas momentan zum Beispiel ein Gewicht von 2,39 Prozent, Allianz 7,28 Prozent und VW 3,30 Prozent, könnte man mit einem Anlagebetrag von 100 Millionen Euro 2,39 Millionen Euro in Adidas-, 7,28 Millionen Euro in Allianz- und 3,3 Millionen Euro in VW-Aktien anlegen. Wenn man alle 30 DAX-Werte so »durchgewichtet« hat, sind die 100 Millionen »im DAX« angelegt. Indexfonds ( exchange traded funds , kurz: ETF, siehe → Fondsanlagen ) oder Indexzertifikate (→ Zertifikate ) auf den DAX werden im Prinzip auf diese Weise strukturiert und nehmen für sich in Anspruch, den deutschen Leitindex quasi »eins zu eins« widerspiegeln zu können. Ein
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