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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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ist.
    Darüber hinaus gibt es noch eine Fülle anderer Derivate. Daher ist es schwierig, diesen Begriff einzugrenzen. Wichtige Instrumente sind, neben Kauf- und Verkaufsoptionen, → Zertifikate und Futures. Zertifikate sind so komplex, dass sie noch gesondert erklärt werden. Einen Future zu verstehen, ist jedoch relativ leicht, wenn man das Prinzip von Optionsgeschäften kennt. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Optionen und Futures. Ein Future beinhaltet im Gegensatz zur Option kein Recht, sondern eine Pflicht. Es gibt daher auch keinen vorherigen Optionspreis, sondern nur einen unbedingt zu zahlenden Preis bei Fälligkeit des Futures. Dieser kleine, aber feine Unterschied hat erhebliche Auswirkungen auf die Position der Vertragspartner. Denn hier gehen im Unterschied zur Option beide Vertragspartner ein unbegrenztes Risiko ein. (Bei der Option trägt nur derjenige, der die Option verkauft, das unbegrenzte Risiko.)
    Nun ist es durchaus möglich, Derivate auch zur Sicherung von Engagements einzusetzen. Bei Futures auf Agrarprodukte kommt dies häufig vor (vgl. → Rohstoffe und Nahrungsmittel ). So kann ein Landwirt beispielsweise seine Weizenernte über einen Weizenfuture gegen fallende Preise absichern. Durch die Festpreisvereinbarung des Futures hat er so eine sichere Kalkulationsbasis.
    Die European Exchange, kurz Eurex, mit Sitz in Eschborn bei Frankfurt/Main ist eine der weltweit größten Börsen für Finanzderivate. Dort werden jährlich mehrere Milliarden Kontrakte über Optionen und Futures gehandelt. Da Options- und Future-Kontrakte heute abgeschlossen, ihre Auswirkungen jedoch erst in der Zukunft deutlich und wirksam werden, nennt man sie auch Terminkontrakte. Die Eurex wird daher auch als Terminbörse bezeichnet.
    Mehrere Milliarden Kontrakte pro Jahr an der Eurex – das ist eine unvorstellbar hohe Summe. Dennoch spiegelt dieser Wert nur die halbe Wahrheit wider – oder besser gesagt nur ein Bruchteil der Wahrheit, denn den offiziell über Börsen gehandelten Derivaten steht ein noch weitaus größeres Vertragsvolumen gegenüber, das zwischen den Handelspartnern »über die Theke hinweg« geregelt wird. Bei diesen Over-The-Counter-Geschäften (→ OTC ) bleiben Transparenz und staatliche Regulierung außen vor; oft wissen nur die jeweils involvierten Geschäftspartner über das Geschäft Bescheid. Das Volumen der OTC-Derivategeschäfte wird auf zurzeit 700 Billionen US-Dollar (jährlich) geschätzt. Beide Varianten, freie OTC- und Börsenderivate, bergen gewaltigen ökonomischen Sprengstoff. Denn die Terminmärkte dirigieren mit ihren Optionen und Futures den Preis eines Basiswertes nach oben oder nach unten. Auf Terminmärkten werden Zukunftserwartungen gehandelt. Rechnen die Marktteilnehmer, bei denen die Spekulanten bedeutend zahlreicher vertreten sind als die »Absicherer«, mit steigenden Preisen für den Basiswert (weil sie zum Beispiel bei bestimmten Agrarprodukten sinkende Ernteerträge oder ein steigendes Versorgungsbedürfnis der Konsumenten erwarten), werden die Future- und Optionspreise in die Höhe getrieben; die aktuellen Preise für den Basiswert folgen brav. Eine solche Preistreiberei nach oben grassiert zurzeit – leider – in ganz besonderem Maße auf den Märkten für Agrarprodukte.
    Um das Missverhältnis von Geld- und Realökonomie zu quantifizieren, also um sagen zu können, wer spekuliert nur und wer will tatsächliche Risiken absichern, muss man die Marktteilnehmer nicht mit den Aufklebern »Spekulant« beziehungsweise »Absicherer« versehen und durchzählen; es reicht schon ein Vergleich der Volumina von Basiswerten und Derivaten. Zum Beispiel Mais: Bis 2001 entsprach die globale Produktion ungefähr dem an den Terminbörsen gehandelten Volumen. 2010 klaffte hier schon eine gewaltige Lücke: Der Ernte von weltweit etwa 800 Millionen Tonnen Mais standen Terminkontrakte über mehr als 2 800 Millionen Tonnen gegenüber. Mit dem Essen spielt man nicht, hat man uns schon als Kinder gelehrt. Gerade Derivate auf → Rohstoffe und Nahrungsmittel sind daher in den letzten Jahren ganz besonders in Verruf geraten.
    Dass Spekulanten sich nicht die Bohne für echte Kaffeebohnen, Schweinehälften oder Mais interessieren und die agrarischen Basiswerte lediglich als Spielball zur Steigerung ihrer Rendite benutzen, wird auch bei Versicherungsderivaten deutlich. Bei diesen handelt jemand mit Versicherungen, die ihn gar nicht betreffen. Hier lassen → synthetische CDO

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