Das kritische Finanzlexikon
grüßen. Alles ist möglich – der Deregulierung sei gedankt.
Der Trick mit der Deregulierung
Wilhelm König ist ein cleverer Anlagefuchs. Seine Freunde setzten voll auf ihn und sein Geschick, genau das Richtige für sie rauszuholen. Alfons A. gibt sich bei einer Anlagesumme von 20 000 Euro mit einer jährlichen Rendite von 1,5 Prozent zufrieden, dafür möchte er aber auch eine topsichere Anlage ohne Kosten und Ärger haben. Bernhard B. will mehr; für seine 80 000 Euro sollen es schon 4,5 Prozent sein. Und Claudia C. verlangt für ihre 100 000 Euro mindestens 8,5 Prozent per annum. Wilhelm König kann nun die Summen strikt voneinander trennen oder die gesamten 200 000 Euro in einen Topf zu werfen. Er spielt beide Möglichkeiten gedanklich durch.
Die erste ist einfach und relativ gut überschaubar. Wilhelm König sucht für jeden Kunden das jeweils passende Produkt, beziehungsweise einige jeweils passende Produkte aus und die Kunden können nachvollziehen, ob die Renditeentwicklung des Produktes beziehungsweise der Produkte den Vorgaben und Wünschen entspricht. Bei der zweiten Möglichkeit wird das Ganze wesentlich undurchsichtiger. Wilhelm König verwaltet hierbei einen großen Vermögenstopf, der durch Anleger mit völlig unterschiedlichen Anlagemotiven gefüllt wurde. Er wird dann alles daransetzen, den Inhalt des Topfes bestmöglich zu vergrößern. Dann kann er seine Kunden sukzessive ausbezahlen und hoffen, dass für ihn schließlich noch eine angemessene Provision/Gewinnbeteiligung übrig bleibt. Im Gegensatz zur ersten Möglichkeit verspricht dieses Vorgehen für König eine höhere Rendite (natürlich bei entsprechend höherem Risiko). Denn die Einlage des bescheidenen Alfons A. kann genauso gut für vielversprechende Deals eingesetzt werden wie das Geld der anspruchsvollen Claudia C. Alfons gibt sich mit einer Verzinsung von 1,5 Prozent zufrieden. Also verschenkt er im Grunde genommen etwas zugunsten der Anleger mit höheren Renditeansprüchen. Zur Maximalvergrößerung des Topfes benötigt Herr König jetzt noch eine breite Produktpalette mit vielen »Finanzinnovationen«. Wäre Wilhelm König eine Bank mit einigen Hunderttausend Anlegern würde man sich fragen, ob a) ein solches Mischsystem zulässig ist und ob b) eine hinreichend große Produktpalette zur erfolgreichen (oder besser: trickreichen) Gewinnmaximierung zur Verfügung steht.
In Bezug auf beide Aspekte hat die internationale Politik für die Finanzindustrie den Weg frei gemacht. Bereits vor mehr als zehn Jahren wurde damit begonnen, alles wegzuregulieren, was einer Chance auf ungebremste virtuelle Kapitalvermehrung im Wege stehen könnte.
In den USA wurde – wohlgemerkt noch unter Bill Clinton – am Ende des letzten Jahrhunderts der Glass-Steagall Act abgeschafft. Diese Rechtsvorschrift verlangte ein Trennbanksystem. Wenn eine Bank im Investmentgeschäft, also »in Wertpapieren«, unterwegs war, durfte sie sich nicht über normale Kundeneinlagen refinanzieren. So wurden Kundeneinlagen geschützt. Das Ganze stand unter der Maxime: Die sollen für ihre (riskanten) Wertpapiergeschäfte gefälligst Geldgeber suchen, welche auch zur Eingehung höherer Risiken bereit sind. Mit anderen Worten: Gemeine Spareinlagen sollte nicht im Derivatehandel verzockt werden können. Dieser Grundsatz wurde also abgeschafft. Die Folge: Große Universalbanken (also Kreditinstitute, die die gesamte Bandbreite von Bank- und Finanzgeschäften betreiben) konnten sich fortan unbeschränkt in den USA betätigen. Besonders deutsche und schweizerische Institute nahmen dieses freundliche Angebot an.
Und auch in Europa tat sich einiges in Sachen Deregulierung. Vor allem im Hinblick auf die Produktvielfalt. Ab 2001 wurden aufgrund von Änderungsrichtlinien der EU europaweit neue Investmentgesetze auf den Weg gebracht. In Deutschland sah dies beispielsweise so aus: 2003 brachte die damalige rot-grüne Regierung ein neues »Investmentgesetz« auf den Weg, welches das bis dahin gültige »Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften« ersetzte. Alles wurde »modernisiert« (Basis war das »Investmentmodernisierungsgesetz«). Die Palette der Anlagemöglichkeiten für Fondsgesellschaften wurde erheblich ausgeweitet (vgl. → Fondsanlagen ). Fonds durften in andere Fonds investieren (Dachfonds) und hochspekulative → Hedgefonds waren jetzt erlaubt. Und auch Derivate waren plötzlich gern gesehene assets. Für Kunden gab es fortan »vereinfachte« Verkaufsprospekte – bei
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