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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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Verbindung zwischen ihrer Weltanschauung und dem Aufkommen des Finanzkapitalismus herzustellen. Und wenn es um die Bewertung realwirtschaftlicher Vorgänge geht, bleiben sie ihrer einmal eingeschlagenen Linie treu. Zum Beispiel im Zusammenhang mit Handlungsempfehlungen für Länder, die als schwach oder zu wenig innovativ angesehen werden. Hier zeigt sich das im Neoliberalismus verankerte (und auch wiederum durch »freiheitlichen Individualismus« geprägte) Prinzip der sogenannten Angebotsorientierung. Angebotsorientiert ist eine Wirtschaftspolitik, die für eine Verbesserung der Investitionsbedingungen sorgt. Die Folge sind Lohn- und Preissenkungen – eine Strategie, die unmittelbar in den gezielten Ausbau eines möglichst umfassenden Niedriglohnsektors führt und auf der anderen Seite für Belohnung der Kapitalseite sorgt (vgl. → Jubel ). Und auch die Austeritätspolitik, das zwanghafte Mantra von angeblich dringend erforderlichen Sparmaßnahmen des Staates auch in Zeiten höchster wirtschaftlicher Not (vgl. → Maastricht ), trägt den Stempel des Neoliberalismus.

ninja loans oder: Ein gescheiterter Ausflug in die Realökonomie
    Wir befinden uns im Jahr 2004. Mr. Mobbless aus Miami/Florida geht es finanziell nicht so gut. Er hat nur ein mageres, stark schwankendes Einkommen aus einem Aushilfsjob. Nennenswertes Vermögen konnte er in seinen 45 bisherigen Lebensjahren nicht aufbauen. Daher ist er ziemlich verblüfft, als ihn eines Tages zwei nette und dynamische junge Männer aufsuchen und ihm ein geradezu märchenhaftes Angebot unterbreiten. Da entstehe doch, so sagt man ihm, am Rande von Miami eine dieser wunderschönen Siedlungen mit größeren Häusern, aber auch kleinen Reihenhäuschen. Und so ein kleines Reihenhäuschen für 250 000 Dollar sei doch genau das Richtige für Mr. Mobbless. Der fühlt sich geschmeichelt. Er ist allerdings ein redlicher Mann. Ob seine Gesprächspartner denn Bescheid wüssten – er habe gerade nun mal leider gerade keinen festen Job. Viel Erspartes habe er auch nicht. Die beiden Jungs bleiben locker und raten auch Mr. Mobbless zu dieser Haltung. No problem! Dann legen sie die Konditionen auf den Tisch: Volle Vorfinanzierung des Objektpreises zuzüglich aller Erwerbsnebenkosten. In den ersten beiden Jahren sind keine Tilgungsleistungen zu erbringen. Dass der Kredit aufgrund der hohen Risikoklasse des Kunden mit einem entsprechend üppigen Zinssatz kalkuliert wird, erwähnen die Berater nicht. Sie faseln aber umso ausführlicher etwas von hybriden ARMs . Das erklären Sie Mr. Mobbles so: Bei diesen hybride adjustable rate mortgages zahlt der Kreditnehmer in den ersten beiden Jahren einen ganz geringen, festen Zinssatz. Danach wird der Zins ein wenig angepasst. Dazu könne man jetzt noch nichts Genaues sagen, aber in zwei Jahren, da sähe ja alles ganz anders aus, von wegen guter Job für Mr. Mobbless, gutes Gehalt; und dann die Wertsteigerung: In zwei Jahren werde Mr. Mobbless für das Häuschen doch mindestens 350 000 Dollar bekommen, wenn er es denn unbedingt verkaufen wolle.
    So ungefähr lief das in der Goldgräberzeit des amerikanischen Immobilienmarktes nach 2001. Solche Kredite werden als ninja loans bezeichnet. Ninja steht hier nicht für einen japanischen Partisanenkämpfer, sondern für no income, no job, no assets . Es handelt sich also in der Tat um einkommens-, arbeits- und vermögenslose Menschen, die aber dennoch offenbar irgendwie kreditwürdig sind. Eine andere Bezeichnung ist subprime loans , Kredite an Personen mit geringer Bonität. Hier gab es nach Auffassung der Finanzindustrie ein großes Wachstumspotenzial. Man musste nur kreativ an die Sache herangehen.
    Geld für solche Kredite war genug vorhanden (vgl. → abartige Entwicklung sowie → Eigenkapital und seine Rendite ). Und so glaubte die Finanzwelt bis Mitte des letzten Jahrzehnts fest an eine win-win-win-situation .
    • Gewinner Nr. 1 : Die dynamischen Berater; diese hatten schon mal ein massives Eigeninteresse an solchen Geschäften. Sie kassierten Provisionen – der eine als Immobilienmakler, der andere als Finanzvermittler. Dies trieb die Erwerbsnebenkosten für die Objekte in die Höhe und führte dazu, dass Hauskäufer eine erheblich über dem Preis des Objektes liegende Summe zu finanzieren hatten. Unser Mr. Mobbless musste dann nicht 250 000 Dollar, sondern vielleicht 280 000 oder 290 000 Dollar als Kredit aufnehmen. Er war derjenige, der die vielen Beteiligten (neben der finanzierenden Bank

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