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Das krumme Haus

Das krumme Haus

Titel: Das krumme Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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ausgeprägter Persönlichkeit.
    Ich schätzte sie auf etwa fünfzig Jahre. Ihr graues Haar war fast männlich kurzgeschnitten; aber diese Frisur, die ich immer hässlich gefunden hatte, stand ihrem wohl geformten Kopf sehr gut. Sie hatte ein intelligentes, empfindsames Gesicht mit hellgrauen Augen von besonderer, forschender Intensität. Sie trug ein einfaches dunkelblaues Wollkleid, das ihre schlanke Figur sehr gut zur Geltung brachte.
    Ich hielt sie für eine ungewöhnliche Frau; zumindest vermutete ich, dass ihre Lebensanschauungen von denen gewöhnlicher Frauen abwichen. Ich begriff sofort, weshalb Sophia das Wort »Grausamkeit« mit ihr in Zusammenhang gebracht hatte. Das Zimmer war kalt, und ich fröstelte ein wenig.
    Clemency sagte ruhig, nachdem Taverner mich vorgestellt hatte: »Nehmen Sie bitte Platz. Gibt es etwas Neues, Chefinspektor?«
    »Es steht nun fest, dass eine Eserinvergiftung vorliegt.«
    Sie antwortete nachdenklich: »Also Mord. Oder könnte es doch ein Unfall gewesen sein?«
    »Nein, Mrs Leonides.«
    »Gehen Sie mit meinem Mann bitte behutsam um, Chefinspektor. Er liebte seinen Vater über alles, und er ist außerordentlich sensibel.«
    »Standen Sie gut mit Ihrem Schwiegervater, Mrs Leonides?«
    »Ja, recht gut.« Sie fügte gelassen hinzu: »Ich mochte ihn allerdings nicht sehr.«
    »Warum nicht?«
    »Ich schätzte seine Lebensanschauung nicht, ebenso wenig seine praktischen Folgerungen.«
    »Und Mrs Brenda Leonides?«
    »Brenda? Ich sah nicht viel von ihr.«
    »Halten Sie es für möglich, dass zwischen ihr und Laurence Brown eine besondere Beziehung bestand?«
    »Meinen Sie eine Liebesbeziehung? Das glaube ich nicht. Aber im Grunde wüsste ich nichts davon.«
    Roger Leonides kam geräuschvoll zurück, und wieder wirkte er wie eine Hummel.
    »Entschuldigung, ich wurde aufgehalten«, sagte er. »Telefon. Nun, gibt’s etwas Neues? Woran ist mein Vater gestorben?«
    »An einer Eserinvergiftung.«
    »Tatsächlich? Mein Gott! Dann war es dieses Weibsbild! Sie konnte nicht warten! Er holte sie mehr oder weniger aus der Gosse, und das ist der Dank. Sie brachte ihn kaltblütig um! Himmel, es kocht in mir, wenn ich daran denke.«
    »Haben Sie einen besonderen Grund für diese Annahme?«, forschte Taverner.
    Roger ging auf und ab und wühlte mit beiden Händen in seinem Haar.
    »Einen Grund? Wer könnte es denn sonst getan haben? Ich habe ihr nie über den Weg getraut, habe sie nie gemocht! Keiner von uns mochte sie. Philip und ich, na, wir waren beide entsetzt, als Dad eines Tages heimkam und uns mitteilte, dass er sie geheiratet hatte. In seinem Alter! Es war Wahnsinn, reiner Wahnsinn. Mein Vater war ein erstaunlicher Mann, Chefinspektor. Geistig war er so jung und frisch wie ein Vierzigjähriger. Alles, was ich bin und habe, verdanke ich ihm. Er tat alles für mich, ließ mich nie im Stich. Aber ich ließ ihn im Stich… wenn ich daran denke…«
    Schwerfällig sank er auf einen Stuhl.
    Seine Frau trat zu ihm.
    »Sei still, Roger. Du regst dich unnötig auf.«
    »Ich weiß, Liebes, ich weiß.« Er nahm ihre Hand. »Aber wie kann ich gegen das Gefühl an…«
    »Du musst dich beruhigen, Roger, Chefinspektor Taverner braucht unsere Hilfe.«
    »Das stimmt, Mrs Leonides«, warf Taverner ein.
    »Wissen Sie, was ich am liebsten täte?«, rief Roger. »Ich möchte das Weib mit meinen eigenen Händen erwürgen. Dem alten Mann die letzten Lebensjahre zu stehlen… Wenn sie hier wäre…« Er sprang auf, bebend vor Wut. »Ja, ich würde ihr den Hals umdrehen…«
    »Roger!«, sagte Clemency schneidend.
    »Verzeihung. Meine Gefühle gehen mit mir durch. Ich… ich bitte, mich zu entschuldigen…«
    Er ging wieder hinaus.
    Clemency sagte mit einem schwachen Lächeln: »In Wirklichkeit könnte er keiner Fliege etwas zu Leide tun.«
    Taverner stellte seine Routinefragen, die Clemency gewissenhaft beantwortete.
    Roger Leonides sei an dem fraglichen Tag in London gewesen, im Zentralbüro der Lebensmittel-AG. Er sei am frühen Nachmittag heimgekehrt und dann, seiner Gewohnheit entsprechend, eine Weile bei seinem Vater gewesen. Sie selbst habe sich wie gewöhnlich im Lambertinstitut an der Gower Street aufgehalten, wo sie arbeitete. Sie sei kurz vor sechs nachhause gekommen.
    »Sahen Sie Ihren Schwiegervater?«
    »Nein. Am Tag vorher sah ich ihn zum letzten Mal. Da tranken wir nach dem Essen zusammen Kaffee.«
    »Sie sahen ihn also an seinem Todestag überhaupt nicht?«
    »Nein. Ich ging zwar in seine Wohnung, weil

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