Das krumme Haus
mein Mann dachte, er hätte seine Pfeife dort liegen gelassen – eine sehr kostbare Pfeife –, aber ich entdeckte sie gleich im Flur, sodass ich den alten Herrn nicht zu stören brauchte. Gegen sechs Uhr machte er oft ein Schläfchen.«
»Wann hörten Sie von seinem schlechten Befinden?«
»Brenda kam herüber. Das war kurz nach halb sieben.«
Diese Fragen waren, wie ich wusste, unwichtig; doch ich merkte, wie scharf Taverner die Verhörte beobachtete. Er erkundigte sich noch nach ihrer Arbeit in London. Sie sagte, sie befasse sich mit den Strahlungseffekten der Kernspaltung.
»Im Grunde hängt Ihre Arbeit also mit der Atombombe zusammen?«
»Meine Arbeit hat nichts mit Zerstörung zu tun. Das Institut beschäftigt sich mit Experimenten in Bezug auf therapeutische Wirkungen.«
Taverner stand auf und drückte den Wunsch aus, die Wohnung anzusehen. Clemency schien leicht überrascht zu sein, erklärte sich aber sofort bereit, sie ihm zu zeigen. Auch das Schlafzimmer mit dem Doppelbett, den weißen Bettdecken und der übrigen einfachen Einrichtung erinnerte mich an ein Krankenzimmer oder eine Mönchszelle. Das Badezimmer enthielt ebenfalls keinerlei Luxus und nicht die Spur von Kosmetika. Die Küche war kahl, fleckenlos sauber und mit arbeitssparenden, praktischen Geräten ausgerüstet. Dann kamen wir zu einer Tür, die Clemency mit den Worten öffnete:
»Das ist das Zimmer meines Mannes.«
»Kommen Sie herein«, rief Roger von drinnen.
Unwillkürlich atmete ich erleichtert auf. Die fleckenlose Sachlichkeit der übrigen Räume hatte mich irgendwie deprimiert. Dies aber war ein durchaus persönliches Zimmer. Da gab es einen großen Schreibtisch, auf dem Papiere, alte Pfeifen und Asche unordentlich herumlagen. Da gab es große, abgeschabte Sessel. Perserteppiche bedeckten den Fußboden. An den Wänden hingen etwas verblasste Gruppenfotos: Schulklassen, Kricketmannschaften, Militäreinheiten, außerdem Aquarellskizzen: Wüstenlandschaften und Minarette, Segelboote, Meeresstimmungen und Sonnenuntergänge. Irgendwie war es ein angenehmer Raum, das Zimmer eines liebenswürdigen, freundlichen, geselligen Menschen.
Roger fegte von einem Sessel Bücher und Papiere hinunter und entnahm einer kleinen Hausbar einige Gläser, die er mit ungeschickter Hand füllte.
»Hier ist ein ziemliches Durcheinander. Ich räume gerade auf und ordne alte Papiere«, sagte er. Der Inspektor lehnte das angebotene Glas ab; ich nahm an. »Entschuldigen Sie mein Benehmen vorhin«, fuhr Roger fort. »Meine Gefühle sind mit mir durchgegangen.« Er blickte sich beinahe schuldbewusst um; aber Clemency war nicht mit hereingekommen.
»Meine Frau ist wundervoll«, sagte er. »Die ganze Zeit hat sie sich wundervoll verhalten. Ich bewundere sie zutiefst. Dabei hat sie es so schwer gehabt. Ich meine vor unserer Ehe. Ihr erster Mann war ein feiner Mensch, aber körperlich sehr anfällig – tuberkulös. Er beschäftigte sich mit wertvoller Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Kristallografie, die schlecht bezahlt wurde und sehr anstrengend war; doch er wollte sie nicht aufgeben. Clemency rackerte sich für ihn ab, im Grunde erhielt sie ihn, und sie wusste, dass er vom Tod gezeichnet war. Aber nie klagte sie, immer sagte sie, sie sei glücklich. Als er dann starb, brach sie völlig zusammen. Schließlich willigte sie ein, mich zu heiraten. Ich war so glücklich, ihr Ruhe und etwas Glück geben zu können, und ich wünschte, dass sie nicht mehr arbeitete; aber während des Krieges hielt sie es für ihre Pflicht, die Arbeit nicht aufzugeben, und sie scheint immer noch zu finden, dass sie weiterarbeiten müsse. Ja, sie ist eine wundervolle Frau, die wundervollste Frau, die es gibt. Himmel, hab ich ein Glück gehabt! Ich würde alles für sie tun.«
Taverner gab eine passende Antwort. Dann spulte er wieder seine Routinefragen ab:
»Wann hörten Sie vom schlechten Befinden Ihres Vaters?«
»Brenda kam herüber, um mich zu rufen. Sie sagte, mein Vater hätte einen Anfall. Ungefähr eine halbe Stunde vorher war ich erst bei ihm gewesen. Da war er noch durchaus wohlauf. Ich lief schnell zu ihm. Er war blau im Gesicht und atmete schwer. Ich stürzte zu meinem Bruder, der den Arzt anrief. Ich… wir konnten nichts tun. Natürlich kam es mir keinen Augenblick in den Sinn, dass etwas Komisches vorliegen könnte. Etwas Komisches? Sagte ich: etwas Komisches? Himmel, wie kann man nur in diesem Zusammenhang ein solches Wort in den Mund nehmen!«
Mit einiger
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