Das krumme Haus
hingen an ihm. Das ist’s, was hier verkehrt ist – zu viel Familiensinn. Ich meine nicht, dass der Alte ein Tyrann war oder die andern ausnutzte. O nein. Er gab ihnen Geld und Freiheit. Er liebte sie, und sie liebten ihn.«
»Und das finden Sie verkehrt?«
»Ja. Ich finde, wenn Kinder erwachsen sind, muss man sie ihr eigenes Leben leben lassen. Mein Schwiegervater war für Roger eine zu starke Persönlichkeit. Er wollte alles tun, was sein Vater von ihm wünschte, wollte der Sohn sein, nach dem sein Vater sich sehnte. Aber das konnte er nicht. Sein Vater überschrieb ihm die Lebensmittel-AG, seine besondere Freude und sein ganzer Stolz, und Roger gab sich alle Mühe, in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Aber diese Tätigkeit liegt ihm nun einmal nicht. In kaufmännischen Dingen ist mein Mann… nun ja, ich will es unverblümt sagen… ein Dummkopf. Er litt sehr darunter. Jahrelang litt er und kämpfte, musste zusehen, wie es mit dem Geschäft immer mehr bergab ging und wie er mit all seinen Einfällen und Plänen scheiterte. Sie wissen nicht, wie unglücklich er war. Ich weiß es.« Sie sah mich voll an. »Und Sie bedeuteten wahrhaftig der Polizei, Roger hätte seinen Vater getötet – um des Geldes willen! Sie ahnen ja nicht, wie… wie lächerlich das ist!«
»Jetzt weiß ich es«, murmelte ich abbittend.
»Als mein Mann einsah, dass der Zusammenbruch sich nicht mehr aufhalten ließ, war er nur erleichtert. Er machte sich bloß Sorgen, was das für seinen Vater bedeuten würde. Er selbst freute sich auf das neue Leben, das wir führen wollten.«
In ihrem Gesicht zuckte es, und ihre Stimme wurde weich.
»Wohin wollten Sie denn gehen?«, fragte ich.
»Nach Barbados. Eine entfernte Kusine von mir, die kürzlich starb, hinterließ mir dort ein kleines Gut. Wir hätten uns sehr einschränken müssen; aber für den Lebensunterhalt wäre es genug gewesen. Jedenfalls hätten wir keine Sorgen und Belastungen gehabt.« Sie seufzte. »Roger ist ein sonderbarer Mensch. Es bedrückte ihn, mich in Armut zu wissen. Ich glaube, er kann sich von der Leonides’schen Einstellung zum Geld nicht freimachen. Ich war schon in meiner ersten Ehe arm, und Roger bewundert mich deswegen. Er vergisst, dass ich damals glücklich war, wirklich glücklich. Aber Roger liebe ich noch mehr als meinen ersten Mann.« Ihre Augen waren halb geschlossen, und ich spürte die Intensität ihres Gefühls. Wieder schaute sie mich an. »Sie sehen also, dass ich niemals um des Geldes willen einen Mord begehen würde. Geld bedeutet mir nichts.«
Ich glaubte ihr. Clemency Leonides gehörte zu den seltenen Menschen, für die Geld wirklich keine besondere Rolle spielt. Aber man kann das Geld als Mittel zu Luxus und Wohlleben verachten und es als Mittel zur Macht begehren. Deshalb erwiderte ich: »Ihnen persönlich mag es nichts bedeuten; doch lässt sich mit Geld viel anfangen. Es ermöglicht zum Beispiel Forschungsarbeiten.«
Ich hatte angenommen, dass Clemency in Bezug auf ihre Arbeit eine Fanatikerin sei; aber sie antwortete nur: »Ich bezweifle, dass Stiftungen für Forschungsarbeiten viel Zweck haben. Meist werden sie falsch verwendet. Die wichtigen Dinge werden gewöhnlich durch einen Menschen bewerkstelligt, der über Begeisterung, Tatkraft und visionäre Fähigkeiten verfügt.«
»Würde es Ihnen nicht schwerfallen, Ihre Arbeit aufzugeben, wenn Sie nach Barbados gehen? Sie wollen doch immer noch fort?«
»O ja, sowie die Polizei es erlaubt. Nein, es macht mir gar nichts aus, die Arbeit aufzugeben. Warum auch? Untätigkeit liegt mir nicht; aber ich werde auf Barbados auch gar nicht untätig sein.« Und geduldig fügte sie hinzu: »Ich wünschte, alles wäre bald in Ordnung, und wir könnten fahren.«
»Haben Sie denn keine Ahnung, wer der Täter ist? Bei Ihrer Intelligenz müssen Sie sich doch Ihre eigenen Gedanken machen.«
Sie warf mir einen sonderbaren Seitenblick zu. Ihre Stimme klang nicht mehr spontan, sondern eher verlegen und verwirrt, als sie antwortete: »Vermutungen sind unwissenschaftlich. Man könnte nur sagen, dass Brenda und Laurence Brown offensichtlich verdächtig sind.«
»Sie glauben also, dass die beiden es getan haben?«
Clemency zuckte die Schultern. Eine Weile stand sie wie lauschend da, dann ging sie aus dem Zimmer, gerade als Edith de Haviland eintrat.
Edith kam geradewegs auf mich zu und sagte: »Ich möchte mit Ihnen sprechen.«
Mir fielen die Worte meines Vaters ein.
»Hoffentlich haben Sie keinen
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