Das krumme Haus
Dingen befassen muss.«
»Ach Nannie, ist dir denn nicht klar, dass jemand hier im Hause ein Mörder ist?«
»Unsinn! Steht nicht immerzu die Haustür offen, sodass jederzeit eingebrochen werden kann?«
»Ein Einbrecher kann es nicht gewesen sein; es ist ja nichts gestohlen worden. Und warum sollte ein Einbrecher einen Menschen vergiften?«
»Ich sagte ja gar nicht, dass es ein Einbrecher war«, entgegnete Nannie. »Ich sagte nur, dass immer alle Türen offen stehen. Meiner Überzeugung nach waren es die Kommunisten.«
Sie nickte heftig.
»Weshalb hätten denn die Kommunisten Großvater ermorden sollen?«
»Es heißt doch immer, sie steckten hinter allem. Und wenn es nicht die Kommunisten waren, dann waren es die Katholiken.« Mit der Würde eines Menschen, der Endgültiges ausgesagt hatte, verschwand Nannie wieder in der Spülküche.
Sophia und ich lachten.
»Eine gute, alte Protestantin«, sagte ich.
»Ja, wahrhaftig. Komm, Charles, wir wollen in den Salon gehen. Dort findet eine Art Familiensitzung statt. Sie sollte erst am Abend sein, hat aber früher angefangen.«
»Ich möchte mich lieber nicht aufdrängen.«
»Wenn du in diese Familie einheiraten willst, schau dir nur an, wie sie aussieht, sobald sie die Samthandschuhe ablegt.«
»Worum geht es denn?«
»Um Rogers Angelegenheiten. Du scheinst ja schon im Bilde zu sein. Aber du bist verrückt, wenn du denkst, Roger hätte Großvater umgebracht. Roger hat ihn heiß geliebt.«
»Ich hatte auch nicht ihn in Verdacht. Eher Clemency.«
»Auch da irrst du dich. Ich glaube, Clemency schert es gar nicht, wenn Roger kein Vermögen mehr hat. Vielleicht würde ihr das sogar gefallen. Sie hat eine sonderbare Leidenschaft für Besitzlosigkeit.«
Als Sophia und ich den Salon betraten, brach das Gespräch jählings ab. Alle schauten uns an.
Philip saß in einem großen, rot brokatenen Lehnstuhl zwischen den Fenstern; sein Gesicht war eine kalte, ernste Maske. Er sah aus wie ein Richter, der im Begriff ist, ein Urteil zu fällen. Roger saß rittlings auf einem dick gepolsterten Hocker am Kamin. Er war sich mit der Hand durch die Haare gefahren, sodass sie rings um seinen Kopf abstanden. Sein linkes Hosenbein war hochgerutscht, und seine Krawatte hing schief. Er sah erhitzt und streitlustig aus. Clemency saß hinter ihm; ihre schlanke Gestalt wirkte in dem großen Sessel besonders zierlich. Teilnahmslos starrte sie auf die getäfelte Wand. Edith saß kerzengerade in einem Großvaterstuhl. Sie strickte mit unglaublicher Energie; ihre Lippen waren fest zusammengepresst. Den schönsten Anblick boten Magda und Eustace. Sie sahen aus wie ein Porträt von Gainsborough. Sie schmiegten sich auf dem Sofa aneinander, der schöne, dunkle Knabe mit einem finsteren Gesichtsausdruck, neben ihm, den einen Arm auf der Rückenlehne, Magda, eine Fürstin im Taftkleid.
Philip runzelte die Brauen und sagte: »Es tut mir leid, Sophia, aber wir behandeln gerade Familienangelegenheiten.«
Ediths Stricknadeln klapperten. Ich wollte mich mit einer Entschuldigung zurückziehen; doch Sophia kam mir zuvor. Ihre Stimme war klar und entschieden: »Charles und ich sind verlobt. Ich möchte, dass er bleibt.«
»Warum auch nicht?«, rief Roger und sprang mit explosiver Energie von seinem Hocker auf. »Ich sage dir ja schon die ganze Zeit, Philip, dass es keine Privatangelegenheit ist! Morgen oder übermorgen wird die ganze Welt es wissen.« Er trat zu mir und legte mir freundlich die Hand auf die Schulter. »Überhaupt wissen Sie ja alles, mein Lieber. Sie waren ja heute Vormittag dabei.«
Magda lehnte sich vor.
»Oh, wie sieht es bei Scotland Yard aus? Das wollte ich schon immer wissen. Schreibtische? Stühle? Was für Vorhänge? Wohl keine Blumen? Ein Diktiergerät?«
»Lass gut sein, Mutter«, sagte Sophia. »Du hast ja ohnehin die Scotland-Yard-Szene streichen lassen. Du fandest, dass sie abfällt.«
»Sie macht das Ganze zu sehr zu einem Kriminalstück«, antwortete Magda. »Edith Thompson ist ein psychologisches Schauspiel… oder ein psychologisches Drama… Was klingt deiner Meinung nach besser?«
»Sie waren heute Vormittag dabei?«, fragte Philip mich schneidend. »Wieso? Ach so, natürlich… Ihr Vater…« Er runzelte wieder die Brauen. Ich spürte deutlich, dass ich unwillkommen war; aber Sophia hielt meinen Arm fest.
Clemency schob mir einen Stuhl hin.
»Nehmen Sie doch Platz.«
Ich bedachte sie mit einem dankbaren Blick und setzte mich. »Ihr mögt sagen, was ihr
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