Das krumme Haus
Betreffende hatte es eilig, zu einer gemächlichen Suche blieb ihm keine Zeit.«
»Jeder hier im Hause, sagen Sie?«
»Ja, ich habe nachgeforscht. Brenda war den größten Teil des Vormittags allein. Laurence und Eustace hatten von halb elf bis elf Pause – da waren Sie bei Ihnen, aber nicht die ganze Zeit. Miss de Haviland war allein im Garten. Roger befand sich in seinem Arbeitszimmer. Die andern erwähnte ich schon.«
»Nur Clemency war in London bei ihrer Arbeit.«
»Nein, sie kommt ebenfalls in Betracht. Sie litt an Kopfschmerzen und blieb deshalb heute daheim. Jeder kann es getan haben! Und ich weiß nicht, wer es war. Keine Ahnung habe ich. Wenn ich wenigstens wüsste, was man hier gesucht hat…« Seine Augen schweiften durch das Zimmer. »Und wenn ich nur wüsste, ob man es gefunden hat…« Taverner merkte mir offenbar an, dass es in meinem Kopf arbeitete; er fragte: »Was tat Josephine, als Sie sie zuletzt sahen?«
»Warten Sie«, entgegnete ich. Ich eilte hinaus, die Treppe empor, durch die Tür linker Hand und zum obersten Stockwerk hinauf. Vorsichtig betrat ich dann den Raum mit den Wasserbehältern und blickte mich hier um. Nichts verriet mir, was Josephine in diesem spinnwebbedeckten Speicherraum gesucht haben könnte. Aber so eine Kammer bot ein gutes Versteck. Ich hielt es für wahrscheinlich, dass Josephine hier etwas versteckt hatte, etwas, das sie, wie sie vielleicht recht gut wusste, nichts anging. Wenn dem so war, musste sich dieses Etwas bald finden lassen.
Nach drei Minuten hatte ich es denn auch geschafft. Hinter dem größten Behälter entdeckte ich einen Stapel Briefe, die in zerrissenes Packpapier eingewickelt waren.
Ich las den obersten Brief:
Laurence, mein Geliebter, es war so herrlich gestern Abend, als du das Gedicht rezitiertest. Ich wusste, dass es für mich bestimmt war, obwohl du mich nicht anschautest. Aristide sagte: »Sie kö n nen gut Gedichte vortragen.« Er merkte nicht, was wir beide füh l ten. Mein Geliebter, ich bin überzeugt, dass bald alles in Or d nung kommen wird. Wir werden froh sein, dass er nichts wusste, dass er zufrieden starb. Er war immer sehr gut zu mir. Ich möc h te nicht, dass er leidet. Aber ich glaube wirklich nicht, dass es ein Vergnügen ist weiterzuleben, wenn man erst einmal achtzig Jahre alt geworden ist. Ich möchte das nicht! Bald werden wir für immer vereint sein. Wie wundervoll wird es sein, wenn ich zu dir sagen kann: »Mein geliebter Mann … « Liebster, wir sind füreinander bestimmt. Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich 1 . Nie wird unsere Liebe aufhören …
Es stand noch viel mehr da; aber ich hatte keine Lust weiterzulesen.
Ich ging hinunter und drückte Taverner grimmig das Päckchen in die Hand.
»Möglich«, sagte ich, »dass unser unbekannter Freund das hier gesucht hat.«
Taverner las ein paar Zeilen, pfiff durch die Zähne und überflog die verschiedenen Briefe. Dann blickte er mich mit dem Ausdruck einer Katze an, die den köstlichsten Rahm geschleckt hat.
»Schön«, sagte er sanft. »Jetzt haben wir Mrs Brenda Leonides und Mr Laurence Brown am Haken. Die beiden waren es also…«
19
I n der Rückschau erscheint es mir sonderbar, wie plötzlich und vollständig mein Mitleid mit Brenda Leonides verging, nachdem ich die Briefe gefunden hatte. Ertrug es meine Eitelkeit nicht, dass sie mich angelogen hatte? Ich weiß es nicht. Ich bin kein Psychologe. Ich nehme lieber an, dass der Gedanke an die kleine Josephine, die in erbarmungslosem Selbstschutz niedergeschlagen war, die Quellen meines Mitgefühls versiegen ließ.
»Meiner Ansicht nach stellte Brown ihr die Falle«, sagte Taverner. »Das erklärt auch die Tatsache, die mir so rätselhaft war.«
»Was war Ihnen denn rätselhaft?«
»Nun, die Umständlichkeit. Warum nicht einfach hinter der Tür lauern, bis das Kind, das die verräterischen Briefe versteckt hatte, dort schaukelte, und es dann einfach niederschlagen? Wozu es sich so schwer machen? Der Mann konnte doch gar nicht sicher sein, dass das Marmorstück Josephine treffen würde. Wozu diese Umstandskrämerei? Um sich ein Alibi zu verschaffen? Aber ein Alibi hat niemand.«
»Und wie erklären Sie sich das Ganze jetzt?«, fragte ich.
»Mit einer persönlichen Idiosynkrasie. Laurence Brown hegt eine tief wurzelnde Abneigung gegen jede Gewalt. Er bringt es nicht über sich, eine Gewalttat zu begehen. Er hätte es nicht fertiggebracht, hinter der Tür zu lauern und das Kind mit eigener
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