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Das krumme Haus

Das krumme Haus

Titel: Das krumme Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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nickte.
    »Also hat jemand zwischen dieser Zeit und Viertel vor eins sich hier zu schaffen gemacht. Hat man denn den Türstopper nicht vermisst?«
    Sophia schüttelte den Kopf.
    »Die Haustür war den ganzen Tag geschlossen. Es ist zu kalt.«
    »Wissen Sie, wo die einzelnen Hausbewohner heute Vormittag waren?«
    »Ich ging spazieren. Eustace und Josephine hatten Schule bis halb zwölf. Mein Vater war, glaube ich, den ganzen Vormittag in der Bibliothek.«
    »Und Ihre Mutter?«
    »Sie kam gerade aus ihrem Schlafzimmer, als ich von meinem Spaziergang zurückkehrte – das war gegen Viertel nach zwölf. Sie steht immer ziemlich spät auf.«
    Wir gingen ins Haus. Ich folgte Sophia in die Bibliothek, wo Philip, blass und abgehärmt aussehend, in seinem Lehnstuhl saß. Magda kauerte vor ihm und weinte leise.
    »Hat man schon vom Krankenhaus telefoniert?«, fragte Sophia.
    Philip schüttelte den Kopf.
    Magda schluchzte.
    »Warum hat man mich nicht mit ihr fortgelassen? Mein Kleines… Und ich nannte sie immer Wechselbalg und machte sie damit wütend. Wie konnte ich so grausam sein? Und jetzt wird sie sterben. Ich weiß, sie wird sterben.«
    »Sei still, Liebes«, sagte Philip. »Sei still.«
    Ich fand, dass ich bei dieser traurigen Familienszene fehl am Platze war. Ich zog mich leise zurück und begab mich auf die Suche nach Nannie. Sie saß in der Küche und weinte ebenfalls.
    »Es ist Schlechtigkeit in diesem Hause. Ich wollte es nicht glauben. Der Mensch, der den Herrn umgebracht hat, versuchte auch Josephine umzubringen.«
    »Aber warum?«
    Nannie nahm das Taschentuch von den Augen und warf mir einen schlauen Blick zu.
    »Sie wissen ja, wie sie war. Sie wollte immer alles erfahren. So war sie schon als ganz kleines Ding. Sie versteckte sich unter dem Tisch und hörte zu, wenn die Mädchen miteinander sprachen, und hielt es ihnen dann vor. Dadurch kam sie sich wichtig vor. Sehen Sie, ihre Mutter kümmerte sich kaum um sie. Sie war kein schönes Kind wie die beiden andern. Sie war immer ein hässliches kleines Ding. Wechselbalg nannte ihre Mutter sie. Das war unrecht von ihr; und ich bin überzeugt, dass Josephine dadurch böse wurde. Aber sie stärkte ihr Selbstbewusstsein, indem sie alles Mögliche über andere in Erfahrung brachte und dann durchblicken ließ, was sie wusste. Aber das ist gefährlich, wenn ein Giftmörder im Hause ist!«
    Ja, das war gefährlich. Mir fiel etwas anderes ein, und ich fragte Nannie: »Wissen Sie, wo sie das kleine schwarze Notizbuch aufbewahrte, in dem sie ihre Beobachtungen niederschrieb?«
    »Ich weiß, was Sie meinen. Ich sah sie oft an ihrem Bleistift kauen und Notizen machen. Ich sagte ihr jedes Mal, sie solle nicht an dem Bleistift kauen, er sei giftig. ›Er ist nicht giftig‹, antwortete sie. ›Es ist gar kein Blei darin, sondern Grafit.‹ Das glaube ich zwar nicht, denn man sagt ja Bleistift, und folglich muss Blei darin sein.«
    »Man sollte es meinen«, nickte ich. »Aber Josephine hat Recht.« (Josephine hatte immer Recht!) »Wo ist das Notizbuch?«
    »Keine Ahnung, Mr Charles. In diesem Punkt war sie sehr schlau.«
    »Hatte sie es nicht bei sich, als man sie fand?«
    »Nein.«
    Hatte jemand das Notizbuch weggenommen? Oder versteckte sie es in ihrem Zimmer? Ich wollte sofort nachschauen. Ich wusste nicht genau, welches Josephines Zimmer war; aber als ich zögernd im Flur stand, hörte ich Taverners Stimme: »Kommen Sie, Charles! Ich bin in Josephines Zimmer. Haben Sie schon einmal so etwas gesehen?«
    Ich trat über die Schwelle und verharrte jählings.
    Das kleine Zimmer sah aus, als ob hier ein Wirbelsturm geherrscht hätte. Die Schubladen waren aufgezogen, und der Inhalt lag überall verstreut. Bettzeug und Matratze waren herausgerissen. Der Teppich bildete einen Haufen. Die Stühle standen verkehrt, die Bilder waren von der Wand genommen, die Fotografien aus dem Rahmen gezerrt. »Allmächtiger!«, rief ich. »Weshalb hat man das gemacht? Hat man nach etwas gesucht?«
    »Sicher.«
    »Und niemand hat es gemerkt?«
    »Wie denn?«, gab Taverner zurück. »Mrs Leonides bleibt vormittags in ihrem Schlafzimmer, manikürt sich, ruft ihre Freunde an und macht Modenschau mit ihren Kleidern. Der Vater brütet in der Bibliothek über seinen Büchern. Die alte Kinderfrau putzt in der Küche Gemüse. Für einen Menschen, der die Gewohnheiten dieser Familie kennt, war das ganz einfach. Jeder hier im Hause konnte dem Kind die Falle stellen und das Zimmer durchwühlen. Aber der

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