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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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erhob sich, um sich vor dem jungen Mädchen (einer Prinzessin, fürwahr!) tief zu verneigen; sie war – zumindest technisch, auch wenn das eine andere, produktivere, vielleicht sogar lukrativere Beziehung in der Zukunft nicht ausschloss – seine Wächterin.
    »Komm rein!«, hörte er den Söldner zu dem Mädchen sagen.
    (Verdammter Kerl, immer übernahm er auf diese Weise die Initiative, wer bildete er sich eigentlich ein zu sein?)
    Das Mädchen schlich in den Raum, wobei sie die Röcke raffte. »Ich glaubte, einen Schuss gehört zu haben…«
    Der Söldner lachte. »Das ist schon eine Weile her«, sagte er und stand auf, um das Mädchen zu einer Sitzgelegenheit in der Nähe des Feuers zu führen.
    »Nun«, sagte sie, »ich musste mich erst anziehen…«
    Der Mann lachte lauter.
    »Edle Dame«, sagte Keiver und erhob sich mit leichter Verzögerung, um geziert etwas zu vollführen, das jetzt – dank Zakalwe – wie eine ziemlich linkische Verbeugung aussehen musste. »Nichts lag uns ferner, als Euren jungfräulichen Schlummer zu stören…«
    Keiver hörte den Mann ein halb bunterdrücktes Lachen herausprusten, während er ein Holzscheit tiefer ins Feuer schob. Die Prinzessin Neinte kicherte. Keiver spürte, wie ihm Hitze ins Gesicht stieg, und er beschloss zu lachen.
    Neinte – noch sehr jung, doch bereits schön auf eine zarte, zerbrechliche Art – schlang die Arme um die hochgezogenen Beine und schaute ins Feuer.
    In der darauf folgenden Stille – mit Ausnahme der Äußerung des Stellvertretenden Vizeherrschers in spe, die in einem ›Je nun‹ bestand – sah er von ihr zu Keiver und dachte, während die Scheite knackten und die roten Flammen tanzten, wie sehr die beiden jungen Menschen plötzlich Statuen glichen.
    Nur einmal, überlegte er, würde ich gern wissen, auf welcher Seite ich bei solchen Gelegenheiten wirklich stehe. Hier bin ich also, in dieser absurden Festung, die voll gestopft ist mit Wohlhabenden, in der es von geballtem Adel wimmelt – und was für Typen, dachte er bei der Betrachtung von Keivers Augen mit dem leeren Blick –, bedroht von den Horden draußen (nichts als Raub und Überfälle, brutale Gewalt und brutale Intelligenz), und versuche, diese empfindlichen, affektierten Produkte eines jahrtausendealten Privilegs zu schützen, ohne je zu wissen, ob ich taktisch oder strategisch das Richtige tue.
    Die Gehirne machten keine derartige Unterscheidung, für sie gab es keinen Bruch zwischen beidem. Taktik bedingte logischerweise Strategie, Strategie ging in Taktik auf, so wollte es die gleitende Skala ihrer dialektischen moralischen Algebra. Das überstieg alles, mit dem nach ihrer Erwartung das Gehirn eines Säugers jemals fertig werden musste.
    Er erinnerte sich, was Sma einmal zu ihm gesagt hatte, vor langer Zeit, damals bei dem Neubeginn (an sich schon die Folge von so viel Schuld und Schmerz); dass sie sich nämlich in einem Bereich bewegten, der seinem Wesen nach verkehrt war, wo die Regeln erst im Laufe des Vorgehens geschmiedet wurden und sowieso niemals zweimal dieselben waren, wo man einfach aufgrund der Natur der Dinge nichts wissen oder voraussagen oder auch nur mit wirklicher Gewissheit beurteilen konnte. Das hörte sich alles sehr intellektuell und abstrakt an und wie eine Herausforderung, sich damit auseinander zu setzen, doch letzten Endes ging es um nichts anderes als um Menschen und Probleme.
    Dieses Mädchen war es, um das es ging, hier, jetzt; fast noch ein Kind, eingesperrt in dieser riesigen Steinburg mit dem Rest der Creme oder des Abschaums – je nachdem, wie man es sah – der Gesellschaft, um zu leben oder zu sterben, abhängig davon, wie gut sein Rat war und wie fähig diese Hanswurste waren, diesen Rat anzunehmen.
    Er betrachtete das vom Schein der Flammen beleuchtete Gesicht des Mädchen und fühlte etwas, das mehr war als ein entferntes Verlangen – sie war so reizvoll – oder ein väterliches Schutzbedürfnis – sie war so jung, und er trotz seiner äußeren Erscheinung so alt.
    Man mochte es… er wusste nicht wie… nennen. Eine Erkenntnis; das Bewusstsein für die Tragödie, die dieses ganze Geschehen darstellte; das Durchbrechen der Regel, die Auflösung der Macht und der Privilegien und des ganzen ausgeklügelten, kopflastigen Systems, das dieses Kind verkörperte.
    Der Mulm und Dreck, der König mit Flöhen. Auf Diebstahl stand Verstümmelung, auf falsches Denken der Tod. Die Kindersterblichkeit war so astronomisch hoch wie die Lebenserwartung

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