Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
Vom Netzwerk:
wieder mal unter das Kopfkissen nach der Schere. Sie war noch da, kühl und scharf.
     
    »Ich habe ihnen gesagt, dass es dringend ist; sie haben versichert, dass sie sich gleich auf den Weg machen wollten«, sagte Talibe beim Hereinkommen, diesmal ohne Stuhl. Ihr Blick ging zu den Fenstern, wo der Sturm immer noch tobte. »Und ich muss Ihnen etwas geben, damit Sie wach bleiben. Sie wollen, dass Sie voll bei Sinnen sind.«
    »Ich bin voll bei Sinnen! Ich bin wach!«
    »Still; und nehmen Sie das hier!«
    Er nahm es.
    Er schlief ein und hielt dabei die Schere unter dem Kopfkissen umklammert, während das Weiß vor den Fenstern sich immer weiter ausdehnte und allmählich das Glas durchdrang, Schicht um Schicht, in einem Prozess der diskreten Osmose, und sich ganz natürlich um seinen Kopf senkte, langsam in einer Umlaufbahn um ihn kreiste und sich mit dem weißen Wulst seines Verbandes vereinte und ihn auflöste und aufwickelte und die Reste in eine Ecke des Zimmers warf, wo die weißen Stühle versammelt waren, murmelnd, ein Komplott schmiedend, und langsam gegen seinen Kopf drückte, sich immer enger um ihn schloss, in dem albernen Tanz der Schneeflocken wirbelnd, die schneller und schneller immer näher kamen und schließlich zum Verband wurden, sich kalt und eng um seinen von Fieber gequälten Kopf legten und – nachdem sie die behandelte Wunde gefunden hatten – sich durch seine Haut und seine Schädelknochen kalt und spröde und kristallin in sein Gehirn drängten.
     
    Talibe schloss die Tür des Krankenzimmers auf und ließ die Offiziere eintreten.
    »Sind Sie sicher, dass er weggetreten ist?«
    »Ich habe ihm das Doppelte der üblichen Dosis gegeben. Wenn er nicht weggetreten ist, dann ist er tot.«
    »Sein Puls schlägt noch. Nehmen Sie seine Arme.«
    »Okay… Hopp! He; sehen Sie sich das an!«
    »Huch!«
    »Mein Fehler. Ich habe mich schon gewundert, wo sie abgeblieben war. Tut mir Leid.«
    »Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Kind. Jetzt gehen Sie besser. Vielen Dank. Es wird nicht vergessen werden.«
    »Okay…«
    »Ist noch was?«
    »Es… es wird doch schnell gehen, ja? Bevor er aufwacht?«
    »Sicher. Oh, ganz sicher. Er wird es niemals erfahren; wird nichts davon spüren.«
     
    … Und so erwachte er im kalten Schnee, aufgeweckt durch eine frostige Explosion in seinem Innern, die an die Oberfläche stieg, jede Pore seiner Haut durchbohrte und kreischend nach außen drang.
    Er wachte auf und wusste, dass er starb. Der Schneesturm hatte bereits eine Seite seines Gesichts taub gemacht. Eine Hand klebte an dem hart gefrorenen Schnee unter ihm. Er trug immer noch den vom Krankenhaus gestellten Anstaltsschlafanzug. Die Kälte war nicht kalt; es war ein betäubender Schmerz, der sich aus allen Richtungen in ihn hineinfraß.
    Er hob den Kopf und sah sich um. Ein paar Quadratmeter Schnee in einer Beleuchtung, die etwa vom frühen Morgenlicht stammen konnte. Der Schneesturm hatte ein klein wenig nachgelassen, tobte jedoch noch immer heftig. In der letzten Temperaturmeldung, die er gehört hatte, war von zehn Grad minus die Rede gewesen, doch durch den eisigen Wind war es viel, viel schlimmer. Alles tat ihm weh, der Kopf und die Hände und die Füße und die Genitalien.
    Die Kälte hatte ihn aufgeweckt. So musste es sein. Sie musste ihn schnell aufgeweckt haben, sonst wäre er bereits tot. Sie mussten ihn zurückgelassen haben. Wenn er herausfinden könnte, welchen Weg sie eingeschlagen hatten, wenn er ihnen folgen könnte…
    Er versuchte, sich zu bewegen, was ihm jedoch nicht gelang. Er schrie innerlich, um das gewaltigste Aufbäumen seiner Willenskraft zu bewirken, das er je zustande gebracht hatte…, und schaffte nichts anderes, als sich herumzurollen und aufzusetzen.
    Die Anstrengung war fast zu viel gewesen; er musste sich mit den Händen nach hinten abstützen, um nicht umzukippen. Er spürte, wie sie beide dort anfroren. Er wusste, dass er niemals mehr aufstehen könnte.
    Talibe…, dachte er, doch der Schneesturm wehte diesen Gedanken in derselben Sekunde davon.
    Vergiss Talibe. Du stirbst. Es gibt weitaus wichtigere Dinge.
    Er starrte in die milchige Tiefe des Schneesturms, der auf ihn zu und an ihm vorbeiwirbelte, wie winzige weiche Sterne in einem dichten, rasenden Schwarm. Sein Gesicht fühlte sich an, als würde es von einer Million kleiner heißer Nadeln getroffen, doch allmählich wurde es gefühllos.
    Diesen weiten Weg zurückgelegt zu haben, dachte er, nur um im Krieg anderer zu sterben! Wie

Weitere Kostenlose Bücher