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Das kupferne Zeichen - Fox, K: Kupferne Zeichen

Das kupferne Zeichen - Fox, K: Kupferne Zeichen

Titel: Das kupferne Zeichen - Fox, K: Kupferne Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katia Fox
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Sie benutzte das Messer täglich, um Brot, Speck oder Zwiebeln zu schneiden, Schnüre zu zerteilen, ihre Fingernägel zu reinigen, Holz für den Fleischspieß anzuspitzen, oder, wie heute, zum Schnitzen. Manchmal überkam sie dabei ein Hauch von Wehmut. Dann dachte sie an Osmond und ihre Geschwister, an Simon und Aelfgiva. Ob die gute alte Frau noch lebte?
    Ellen überlegte, wie viele Jahre wohl vergangen waren, seit sie aus Orford weggegangen war. »Müssen so zehn oder elf Jahre sein«, murmelte sie.
    »Wer?«, fragte Jean neugierig und beschloss, ebenfalls zu schnitzen. Er nahm das Messer, das Ellen vor ein paar Monaten aus einem Eisenrest für ihn geschmiedet hatte, und setzte es unsicher an.
    »Nicht wer, sondern was.«
    »Wie?«
    »Ich habe überlegt, wie lange ich schon von zu Hause fort bin. Ich denke, dass es jetzt zehn oder elf Jahre sein müssen«, antwortete Ellen eine Spur gereizt.
    »Ach so«, sagte Jean wenig interessiert und konzentriertesich wieder auf sein Holzstück. Immer wenn sie an ihre Familie dachte, fühlte Ellen ein unangenehmes Brennen im Magen, also versuchte auch sie, sich abzulenken.
    »Du musst das Messer flacher halten«, fuhr sie Jean etwas zu grob an, und er sah erstaunt auf. »So, siehst du!« Ellen zeigte ihm, wie er das Messer in die Hand nehmen musste. »Und immer vom Körper weg, sonst kannst du dich böse verletzen.« Erst jetzt bemerkte sie diesen seltsam glasigen Schimmer in seinen Augen. »Was ist los?«, wollte sie schon fragen, als er plötzlich mit dünner Stimme sagte: »Mein Vater hat abends oft geschnitzt.« Er wischte sich mit dem Ärmel über die Nase. »Ich müsste eigentlich wissen, wie man das Messer hält, er hat es mir gezeigt, aber ich erinnere mich nicht mehr. Es ist alles ganz verschwommen.«
    Ellen sah ihn mitleidig an. »Es ist doch auch schon so lange her!«, sagte sie und strich ihm über die Haare.
    »Ihre Gesichter, sie sind weg!«
    »Wessen Gesichter, Jean?«
    »Die von meinen Eltern und meinem kleinen Bruder. Wenn ich an sie denke und versuche, sie mir vorzustellen, sehe ich nur Blut, die herausquellenden Gedärme meines Vaters und die verrenkten Glieder meiner Mutter. Ich weiß nicht einmal mehr, welche Farbe ihre Augen oder ihre Haare hatten.« Jean weinte leise.
    Ellen konnte nur erahnen, wie furchtbar er sich fühlen musste. Ihr Heimweh schien auf einmal lächerlich im Vergleich zu der Einsamkeit, die Jean und Madeleine empfinden mussten. Die beiden hatten alles verloren und keine Heimat mehr, in die sie eines Tages zurückkehren konnten. Sie wussten ja nicht einmal, wo sie ihr Dorf suchen sollten. Wenn sie nicht irgendwann durch Zufall in die Gegend zurückkamen, so wie Jean es die ganzen Jahre gehofft hatte, würden sie es niemals wiederfinden. Vielleicht war das Dorf auch gar nicht wieder aufgebaut worden, wo doch alle anderen Einwohner umgekommen waren. Ellen standauf, setzte sich hinter Jean und Madeleine und nahm sie in die Arme. Tröstend wiegte sie die beiden wie kleine Kinder.
    »Ich bin so froh, dass wir dich getroffen haben. Ich habe immer versucht, mich um sie zu kümmern«, sagte Jean leise.
    Madeleine genoss schweigend Ellens Umarmung.
    »Aber ich, ich habe nie jemanden gehabt. Für mich, meine ich, jemand, der sich mal um mich kümmert, verstehst du?« Er blickte in das flackernde Licht des Lagerfeuers und vermied es, Ellen anzusehen.
    Von der Seite sah sie Tränen in seinen Augen funkeln.
    Madeleine hatte ihre Augen geschlossen und war so still, als ob sie schlief.
    »Wir bleiben für immer zusammen, das verspreche ich euch!« Gerührt zog Ellen die beiden noch dichter an sich.
    Jean schüttelte traurig den Kopf. »Irgendwann wird ein Mann kommen. Ich meine nicht diesen Sire Guillaume …«, sagte er ein wenig abschätzig.
    »Jean!«, rief Ellen entsetzt aus und errötete. »Was soll das heißen?«
    »Ich weiß doch, dass du in ihn verliebt bist!«
    »Wie kommst du denn darauf?« Ellen fühlte sich ertappt.
    »Ach, das sieht doch ein Blinder. So wie du ihn anhimmelst! Vielleicht mag er dich ja auch, aber er ist der Lehrmeister unseres jungen Königs, und du bist nur ein Mädchen, das ein Schmied sein will. Ihr habt nichts gemeinsam.«
    Ellens Magen krampfte sich zusammen. Jean sagte nichts, was sie nicht längst wusste, trotzdem tat es weh. Natürlich würde es für sie und Guillaume nie eine Zukunft geben. Ellen atmete tief ein und hörte Jean wie aus weiter Ferne sprechen.
    »Er wird irgendwann eine Frau seines Standes heiraten

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