Das kupferne Zeichen - Fox, K: Kupferne Zeichen
dann nimmst du sein Gold und was er sonst noch Wertvolles besitzt. Räuber machen oft grausige Dinge!« Er lachte heiser.
»Aber ich kann doch nicht … Jocelyn ist ein guter …«
»Schweig, und tu, was ich dir sage, heute Nacht noch oder schon morgen ist deine Frau eine mittellose Witwe, und deine Kinder müssen auf der Straße um Essen betteln!«
»Und wenn ich ihn nur niederschlage und beraube?«, schlug Michel zitternd vor.
»Das reicht nicht! Entweder er stirbt, oder du! Überleg es dir, aber nicht zu lange! Es muss noch heute geschehen!«
Michel nickte in verzweifelter Ergebenheit. Mit einem Schlag schien er nüchtern geworden zu sein. »Und wohin soll ich Euch das Gold bringen?«
»Ich komme morgen Abend zu dir; wenn du versuchst, mich zu hintergehen …« Thibault drückte noch einmal sein Messer an Michels Hals, »dann wird es dir übel ergehen!«
»Niemals, Herr, glaubt mir!«, winselte Michel.
Thibault stieß ihn von sich. »Dann geh jetzt, du weißt, was du zu tun hast!«
* * *
Mitten in der Nacht fuhr Ellen zitternd aus dem Schlaf hoch. Irgendetwas hatte sie furchtbar erschreckt, ein Geräusch oder ein Traum vielleicht. Unruhig schlief sie wieder ein und war amnächsten Morgen müde und nervös. Sie arbeitete unkonzentriert und konnte es kaum abwarten, endlich zu Jocelyn zu gehen. Obwohl sie hungrig war, eilte sie sofort nach ihrer Arbeit zu ihm. Ohne anzuklopfen, stürzte sie in die Goldschmiede. »Jocelyn, ich bin’s!«, rief sie freudig.
Ein unangenehm süßlicher Geruch schlug ihr entgegen. Ellen rümpfte die Nase. Dann entdeckte sie Jocelyn. Er lag ausgestreckt neben seinem Arbeitstisch in einer Blutlache. Ellens Herz setzte für einen Moment aus. Ungläubig fiel sie neben dem leblosen Körper auf die Knie. Ihr Herz schlug heftig. »Bitte nicht, Jocelyn!« Ellen rüttelte ihn sanft. »Herr, warum strafst du mich so?« Sie schluchzte fassungslos und strich vorsichtig über Jocelyns eingefallene Wange. Der Stichel, den sie für ihn geschmiedet hatte, ragte anklagend aus seiner Brust heraus. Weinend packte sie den Griff und zog daran, bis das Fleisch das Werkzeug freigab.
Plötzlich standen zwei vornehme Kaufmannsfrauen in der Tür.
Erschrocken sah Ellen auf. Sie hielt die blutige Waffe in ihrer weit ausholenden Hand, beinahe so, als würde sie erneut zustechen wollen.
»Hilfe! Hilfe, sie hat den Goldschmied ermordet!«, riefen die beiden Frauen und rannten schreiend davon.
Ellen starrte den Stichel in ihrer Hand ungläubig an. Jocelyns Blut lief von ihm herab in ihren Ärmel. Angewidert schleuderte sie das Werkzeug weg, wischte das Blut hektisch an einem herumliegenden Lappen ab und stürzte auf der Rückseite der Goldschmiede nach draußen. Sie wusste, dass hinter dem Garten eine kleine Seitengasse lag, durch die sie flüchten konnte.
Sicher würden die beiden Frauen bei allem, was ihnen heilig war, beschwören, dass sie gesehen hatten, wie Ellen Jocelyn erstochen hatte. Wer würde ihr dann noch die Wahrheit glauben?
Ellen irrte ziellos durch die engen Gassen, ohne zu wissen, wohin. Noch nie war sie so weit in Richtung der Armenviertelgelangt. Die dicht gedrängten Häuser waren hoch gebaut. Ratten huschten durch die Gassen, und es stank nach Schweinekot und Urin. Die Kinder in diesem Viertel waren dürr und ausgemergelt, ihre Gesichter dreckverkrustet und ihre Leiber mit aufgekratzten Flohstichen übersät. Hier herumzulaufen war nicht erst bei Einbruch der Nacht gefährlich, aber Ellen kümmerte das nicht. In ihrem Kopf war kein klarer Gedanke, nur Bilder von Jocelyn und unendliche Trauer. Auf den Stufen einer schäbigen kleinen Holzkirche brach sie weinend zusammen. »Jocelyn, was soll ich jetzt nur tun?«, flüsterte sie immer wieder verzweifelt. Aber niemand antwortete.
Ich muss zurück zu Michel und meine Sachen holen, schoss es ihr durch den Kopf. Ellen rieb sich über das rußige Gesicht und verschmierte so die weißen Linien, die die Tränen auf ihren Wangen hinterlassen hatten. Je näher sie der Schmiede kam, desto mehr musste sie fürchten, Soldaten in die Arme zu laufen. Falls eine der beiden Frauen wusste, wer sie war, wimmelte es dort sicher schon von Männern der Stadtwache. Ellen versteckte sich in der Nähe von Michels Werkstatt und beobachtete sie. Nichts rührte sich. Sie wartete, bis es dunkel wurde, und schlich zur Schmiede. Michel saß vermutlich mit seiner Familie beim Essen oder in der Schänke, trotzdem öffnete Ellen die Tür zur Werkstatt nur
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