Das kurze Glueck der Gegenwart
nehmen das Körperliche in den Dienst eines feministisch-emanzipatorischen Kampfs gegen den Perfektions- und Schlankheitswahn der Frauen- und Modemagazine. Sex ist nie oberflächlich, das heißt im Grunde: Sex ist nie einfach nur Sex, sondern immer ein Zeichen. Ein Symbol und eine Hieroglyphe, die die Literatur entziffern hilft.
4. Die deutsche Wiederentzweiung: Eine Erinnerung an Ost und West
Mit der Wende wurde alles anders. Im Herbst 1989 studierte ich in Köln Geschichte im dritten Semester und arbeitete gerade an einer Proseminararbeit über das Prinzipat des Augustus, am Morgen nach dem Mauerfall war ich mit einer Kommilitonin beim Unisport zum Badmintonspielen verabredet. Es war das letzte Mal in meinem Leben. Nie mehr habe ich seither einen Badmintonschläger in der Hand gehabt.
1988 habe ich Abitur gemacht, in einer Stadt im äußersten Westen der Bundesrepublik. Meine Leistungskurse waren Biologie und Geschichte. In Geschichte schrieb ich in Klasse 13 eine Klausur, deren Fragestellung sich nur auf einen einzigen Satz bezog. Er lautete: »Die deutsche Frage bleibt offen.« Gesagt hatte das Helmut Kohl. Und ich wies, geschult an den Absurditäten der deutsch-deutschen Zeitgeschichte, der Stalin-Note, des Grundlagenvertrags, des Honecker-Besuchs in der Bundesrepublik, den Unterschied zwischen der de jure richtigen Formulierung Kohls und der de facto bestehenden deutschen Zweistaatlichkeit nach und zitierte den Philosophen Karl Jaspers, nach dem es keine Einheit ohne Freiheit geben würde. Mein Geschichtslehrer, der großartige Herr Grochtmann, gab mir für meine Abhandlung fünfzehn Punkte. Ich hatte die Wiedervereinigung widerlegt. Da würde nichts mehr gehen.
Und schon allein deswegen musste man sich mit Ostdeutschland auch nicht mehr beschäftigen als mit, sagen wir, Polen oder Ungarn. Und mit denen beschäftigte man sich ja auch nicht. Die Niederlande, Frankreich oder Dänemark waren uns vertrauter als Ostdeutschland. Wie Karl-Marx-Stadt eigentlich hieß, wusste niemand. Man dachte, alle in der DDR würden so sächseln wie Ulbricht. Meine einzige Reise durch den eisernen Vorhang war eine Kursfahrt nach Prag in Klasse 12, also 1987, an die ich nur noch undeutliche, von allerbilligstem Rotwein getrübte Erinnerungen habe: Grau war es da drüben, dreckig und bröckelig überall, und morgens um sechs standen Schlangen vor Supermärkten, in denen es weniger gab als in jedem Büdchen daheim.
2000 erschien »Generation Golf«, der Bestseller von Florian Illies. Darin zeichnete er ein ironisches Porträt der achtziger Jahre der Bundesrepublik und der in dieser Zeit herangewachsenen Alterskohorte, der Generation der zwischen 1965 und 1975 Geborenen. Ich selbst bin Jahrgang 1969. Natürlich ist die Generation Golf ein rein westdeutsches Phänomen. Illies selbst stammt, Jahrgang 1971, aus Schlitz in Osthessen. Schon sein Vater, der Insektenforscher Joachim Illies, war in der Bundesrepublik ein bekannter Autor populärwissenschaftlicher Sachbücher.
Der geniale Clou von »Generation Golf« besteht darin, dass das Buch dies nicht nur beschreibt, sondern selbst ein typisches Produkt eines Vertreters dieser Generation ist. Denn in seinem zwischen Ironie und Nostalgie changierenden Ton, in seiner stilistisch perfekt, wie mit einer elektronischen Einparkhilfe aus dem neusten Golf-Modell eingehaltenen Halbdistanz zur eigenen Vergangenheit konnte das Buch ein aktuelles Bedürfnis nach sentimentaler Erinnerung befriedigen, ohne sich unkritischer Verklärung schuldig zu machen, wie die spießigen Achtziger-Jahre-Shows des Privatfernsehens. Illies konnte seiner eigenen Generation das Unpolitisch-Sein vorwerfen, die Schicksallosigkeit in einem selbst unpolitischen Buch, das gerade kein Manifest sein wollte. Schuldlos schuldig ist diese Westgeneration, das logische Produkt der Bundesrepublik, der frühen Kohl-Ära, die die existentiellen Erfahrungen der gleichaltrigen Ostdeutschen nicht hat machen müssen (zum Glück!).
Der aus Dresden stammende Schriftsteller Uwe Tellkamp, nur als Beispiel, ist Jahrgang 1968 und musste als junger NVA -Soldat und Panzerkommandant zur Niederschlagung der Konterrevolution von 1989 antreten, während er seinen eigenen Bruder auf Seiten der Demonstranten wusste. Welcher Westdeutsche seiner Generation hätte einen ähnlichen inneren Konflikt durchmachen müssen? Tellkamp verweigerte den Befehl und landete in den letzten Tagen der DDR im Gefängnis. Die einer Gehirnwäsche gleichkommende
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