Das kurze Glueck der Gegenwart
früheren Romanen für die Beschreibung der rauhen Welt seiner Jugend nutzte, kommt ihm längst auch in der Darstellung eines ganz anderen Milieus, der schleichend verbürgerlichten Westberlin-Boheme zugute, der seine Figuren entstammen. Der Osten ist auch in »Feuer brennt nicht« mehr ein interessantes Soziotop, ein aus der Zeit gefallenes Pendant zum längst strukturgewandelten Ruhrgebiet.
An Charlotte ziehen den selbst spürbar alternden Erzähler Wolf gerade die Spuren der Zeit an: »Aber Charlotte, deren Lippenabdruck an dem Weinglas schwungvoller ist als ihr Mund, könnte annähernd sechzig sein, mit Klasse natürlich, was ihn zwar kurz einmal erschreckt; doch der Glanz von Erfahrung, den er an ihr wahrzunehmen meint, erregt ihn dann mehr, als jede Jugendlichkeit es gekonnt hätte. Verstohlen blickt er auf die Uhr.« Gleich beim ersten Date unterhalten sie sich über ihren jüngst behandelten Darmverschluss. Sex ist immer auch eine Reflexion der Vergänglichkeit. Nur scheinbar schlägt jede neue Affäre dem Älterwerden ein Schnippchen, zumal mit jüngeren Partnern. Tatsächlich macht der Versuch, die Zeit im Jetzt aufzuheben, sie nur besonders bewusst.
Die Dreiecksgeschichte, die Rothmann erzählt, ist eine perfekte Bestätigung dafür, dass Sex niemals nur Oberfläche ist. Nachdem Wolf seiner Freundin das Fremdgehen gestanden hat, findet diese sich nach dem ersten Schock scheinbar damit ab, ja ermuntert ihn sogar zu regelmäßigen weiteren Besuchen. Ohne dass Wolf davon wüsste oder es nur ahnte, hat Alina eine tödliche Krankheit. Sie wählt den Freitod, ohne ihn vorher einzuweihen. Nicht der ältere, sorgenvoll zur Vorsorge gehende und ständig über den Verfall reflektierende Wolf stirbt, sondern seine junge Freundin, die Garantin seiner andauernden Jugend.
Am Ende des Romans wechselt die Perspektive: Während zuvor nur aus der Sicht Wolfs erzählt wurde, wird der Tod Alinas so berichtet, wie es vielleicht der Schriftsteller Wolf in seinem Roman tun würde. Dadurch erfährt der Leser aber seine Reaktion nicht. Der ganze Roman ist eine Demaskierung des sich sensibel dünkenden, aber ichbezogenen Mannes, der über seinen eigenen Identitätsproblemchen und Virilitätsbeweisnöten das Drama des Partners gar nicht mitbekommt (und der auch die Geliebte tatsächlich noch mehr benutzt als diese ihn). Aber die sterbende Alina wollte es durchaus selbst so: Einem langwierigen Abschied im Schatten von Schmerz, Tod und Trauer zog sie eine späte, heftige Blüte vor, einen letzten Lebensexzess.
»Nur das Flüchtige blüht« – so lautet die tiefe Botschaft dieses programmatisch antioberflächlichen Romans. Rothmann gelingt damit etwas, was sonst nur großen amerikanischen Erotikern wie John Updike oder Philip Roth gelungen ist: durch die Banalität des Alltags hindurch die letzten Dinge heraufzubeschwören. Einer der größten amerikanischen Romane der letzten zwanzig Jahre, Roths »Sabbaths Theater« (1996), stellt eine ganz ähnlich Verbindung zwischen Sexualität und Tod her. Das auf den ersten Blick rein sexuelle Verhältnis der Hauptfigur Mickey Sabbath zu der erotomanen und vermeintlich ordinären Wirtin Drenka wird zum Dreh- und Angelpunkt seines ganzen Lebens. Der furchtbare Krebstod der kroatischen Geliebten lässt alles Körperliche, auch das vermeintlich noch so Eklige und »Perverse« zur allerzärtlichsten Liebeserklärung werden.
Zu den grandiosesten Aktmalern der Gegenwart zählen die beinahe gleich alten Künstler Lucian Freud und Maria Lassnig. Im Zeitalter der unendlich reproduzierten nackten Körper gelingt es gerade dem traditionellen Medium der Ölmalerei, unter die Haut vorzustoßen (wie natürlich großen Aktfotografen). So ist es auch mit der pornographischen Literatur: Dem selbstzweckhaften Spiel der Körper, der in der elektronischen Bilderflut geheimnislos gewordenen Nacktheit verschafft sie erzählend einen existentiellen Kontext: den Mythos, den Tod, das Jenseits.
Ist das nun ein Ersatz? Oder wird Sex erst als Text zur Transzendenzerfahrung? Dass es wahren Sex nur zwischen Buchdeckeln gibt, ist eine Idee, die notorischen Roman-mit-ins-Bett-Nehmern und Prosaliebhabern natürlich gefällt. Die Gegenwartsliteratur hat auf diese Herausforderung jedenfalls klug reagiert. Sie hat nicht versucht, in die Konkurrenz um den »Bad Sex Award« einzutreten, der jedes Jahr in Großbritannien verliehen wird. Selbst die alle Ekelgrenzen bewusst überschreitenden »Feuchtgebiete« Charlotte Roches
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