Das Labor der Esper
ihren Namen von der Briefablage im Hauseingang abgelesen.
Sie sah ihn zweifelnd an. »Sind Sie von der Polizei?«
»Ich wollte Sie über Miß Graham ausfragen – über Barbara Graham.«
»Von der Zeitung, nicht wahr?« Eine Hand fuhr instinktiv durch das unfrisierte Haar. »Ich hatte niemanden erwartet.«
»Nein – es ist mehr eine private Nachfrage. Ich bin ein Freund von ihr.« Im Hintergrund dröhnte der Fernsehapparat ohrenbetäubend. Er fragte sich, ob sie den Lärm überhaupt hörte. Eine normale Unterhaltung war fast unmöglich – aber dann hatte sie wahrscheinlich auch selten Gelegenheit zu einer Unterhaltung. Er hatte sie schon fragen wollen, ob er hereinkommen dürfte, aber nun entschied er, daß sie am Gang leichter sprechen konnten.
»Hoffentlich sind Sie ein besserer Freund als dieser Maples«, sagte Mrs. Forman mit einem Zug mütterlicher Strenge.
»Maples?«
»Wie sich ein Mädchen wie Barbara nur mit so einem Kerl einlassen konnte … Als ich ihn das erstemal sah, wußte ich, was das für einer war. Kam dauernd hier herauf und roch nach Alkohol. Er war schuld, daran besteht gar kein Zweifel.«
»Haben Sie das der Polizei gesagt?« fragte Peter.
»Ja – und ihrer Tante. Also, die war nicht ganz unschuldig. Warum ist sie nicht früher zu dem Mädchen gekommen? Wartete ab, bis das Schreckliche geschehen war …«
»Ihre Tante?«
»Ja, sie kam heute nachmittag vorbei und nahm ein paar von Barbaras Kleidern mit. Ich kam zufällig vom Einkaufen, als sie in die Wohnung ging.«
Peters Interesse steigerte sich. »Was sagte die Tante zu Ihnen?«
»Schien es wohl ein wenig eilig zu haben«, meinte Mrs. Forman. »Sagte, sie sei im Krankenhaus gewesen, und da habe man sie gebeten, noch mehr Sachen für das Mädchen zu bringen … Sie haben sicher in den Zeitungen gelesen, daß ich sie fand? Armes Kind! Wie man nur so etwas tun kann! Ich ging an der Tür vorbei, und da roch ich das Gas, und ich hatte so ein Gefühl, daß etwas nicht stimmte …«
Peter unterbrach sie sanft, da er fürchtete, sich eine ausschweifende Erzählung anhören zu müssen. »Diese Tante von Barbara – sie war vorher noch nie dagewesen?«
»Nein – nie!« sagte Mrs. Forman bestimmt. »Soweit ich es sehen konnte, hatte sie niemand außer diesem Maples. Saß dauernd herum – und hatte bestimmt nichts Gutes im Sinn, das möchte ich wetten.«
Peter war überzeugt davon, daß sie andere Besucher bestimmt bemerkt hätte. Das Kommen und Gehen der Nachbarn mußte eines der Hauptinteressen in ihrem traurigen, einsamen Leben sein. »Könnten Sie mir Barbaras Tante beschreiben?« fragte er.
»Komisch sah sie aus, das muß ich schon sagen. Ich hatte mir Barbaras Verwandte ganz anders vorgestellt.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na, sie sah so ausländisch aus, wenn Sie wissen, was ich damit sagen möchte. Klein und dicklich, mit ganz schwarzem Haar und großen Zigeunerohrringen. Fast ein bißchen gewöhnlich – gar nicht wie Barbara. Die war immer eine richtige kleine Dame …«
»Wie kam sie denn in die Wohnung?«
»Oh, sie hatte einen Schlüssel – den von Barbara, nehme ich an.«
»Ich verstehe. Also, vielen Dank, Mrs. Forman, Sie haben mir sehr geholfen.«
»Möchten Sie nicht hereinkommen?« fragte die Frau ein wenig zu spät. »Ich könnte uns eine Tasse Tee machen.«
»Vielen Dank, aber ich muß jetzt weiter.«
»Wenn Sie sonst noch etwas wissen wollen …« Sie sah ihn über die Goldbrille bittend an, als sie merkte, daß er wirklich gehen wollte. »Ich bin keine Schnüfflerin, müssen Sie wissen, aber die Zeit vergeht eben so langsam, und da sieht und hört man einiges …«
»Ja natürlich. Nochmals vielen Dank«, sagte Peter. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Peter wandte sich um und ging langsam durch den Korridor zurück. Die Tür zu Mrs. Formans Wohnung schloß sich und dämpfte den Lärm aus dem Fernsehapparat, aber er bemerkte es kaum. Er versuchte sich an die Unterredung mit Doktor Glendale vor Barbaras Erscheinen zu erinnern. Sie hatten die Akte durchgeblättert. Was hatte Glendale gesagt? »Barbara hing sehr an der alten Tante, aber nach vier Jahren starb auch sie.«
Das Gefühl in ihm verstärkte sich, daß die Frau, die Mrs. Forman gesehen hatte, nicht Barbaras Tante war. Das hieß, daß sie mit den Leuten – oder war es nur einer? – in Verbindung stand, die Barbara von Yearby entführt hatten. War sie, diese dunkelhaarige, fremdartige Frau eine Supertelepathin, die ihn in diesem Moment beobachtete
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