Das Labyrinth der Ratten
Hinweis. Ein Brettspiel? Ein Kriegsspiel?« Er lauschte.
In seinen Ohren murmelte die brüchige, senile Stimme: »Ja, wir haben sie wirklich zugedeckt, die Sklaventreiber; sie haben wahrlich nicht damit gerechnet, daß wir uns etwas einfallen lassen würden.« Der alte Mann, rasselnd, kichernd vor Freude. »Unsere Waffenmodeschöpfer. Was für Nieten sie waren. Das dachten die fremden Wesen jedenfalls.«
Lars öffnete die Augen, am ganzen Körper zitternd. Sein Kopf schmerzte unerträglich. Im grellen Licht der Deckenlampe kniff er die Augen vor Schmerzen zusammen. Er sah Lilo Toptschew neben sich, schlaff zusammengesunken, in den Fingern einen Zeichenstift ... über einem leeren, unberührten Blatt Papier.
Der Trancezustand, die telephatische Verbindung mit dem verhüllten, inneren Geist des alten ›Kriegsteilnehmers‹ Vincent Klug war zu Ende.
Lars blickte hinunter und sah seine eigene Hand, die einen Stift umklammerte, sein eigenes Blatt Papier. Natürlich gab es keine Skizze; das wunderte ihn nicht.
Aber das Blatt war nicht leer.
Ein mühsam hingekritzelter Satz stand dort, als hätten die ungeschickten, unerfahrenen Finger eines Kindes den Stift geführt, nicht die seinen.
Der Satz lautete: (unlesbar, ein kurzes Wort) im Labyrinth.
Ein Etwas im Labyrinth, dachte er. Ratte? Möglicherweise. Er schien ein ›r‹ erkennen zu können. Und das Wort bestand aus nur vier oder fünf Buchstaben, von denen der zweite – als er genau hinsah, war er jetzt überzeugt davon – ein ›a‹ sein mußte.
Schwankend stand Lars auf, verließ das Zimmer, öffnete Tür um Tür, fand endlich jemanden, einen Pfleger.
»Ich brauche ein Bildsprechgerät«, sagte er.
Endlich saß er an einem Tisch, auf dem ein Nebenapparat stand. Mit zitternden Fingern wählte er die Nummer seines Büros.
Henry Morris erschien auf dem Bildschirm.
»Nehmen Sie sich Vincent Klug vor, den Spielzeugmacher«, sagte Lars. »Er hat ein Erzeugnis für Kinder, irgendein Labyrinth. Es ist über Lanferman & Co. herausgekommen. Es gibt ein funktionierendes Modell. Pete Freid hat es hergestellt.«
»Okay«, nickte Henry.
Nachdem Lars aufgelegt hatte, lehnte er sich zurück, griff wieder nach dem Blatt, besah sich den hingeschmierten Satz erneut. Wie, in Gottes Namen, hieß das unleserliche Wort? Er entzifferte es beinahe ...
»Wie fühlen Sie sich?« Lilo Toptschew tauchte auf, trüben Auges, rieb sich die Stirn, glättete ihre zerzausten Haare. »Mein Gott, ist mir schlecht. Und wieder habe ich nichts.« Sie ließ sich ihm gegenüber auf den Stuhl fallen, stützte das Gesicht auf die Hände. Dann richtete sie sich seufzend auf und reckte den Hals, um auf sein Blatt sehen zu können. »Das haben Sie übernommen? Während der Trance?« Sie zog die Brauen zusammen, ihre Lippen bewegten sich. »Hm, irgend etwas im Labyrinth. Dieses erste Wort.« Sie schwieg einige Zeit, dann sagte sie: »Oh, ich weiß, was es heißt.«
»Sie wissen es?« Er ließ das Blatt sinken, und aus irgendeinem Grund war ihm kalt.
»Das erste Wort heißt Mann«, sagte Lilo. »Mann im Laby rinth. Das haben Sie in der Trance geschrieben. Ich möchte wissen, was es bedeutet.«
29
Später saß Lars in einer der großen, stillen Konferenzkammern der inneren Zitadelle, des Kreml der Festung Washington, der Hauptstadt des gesamten Wes-Blocks mit seinen zwei Milliarden Menschen. (Weniger jetzt, um einen beträchtlichen Anteil. Aber davor verschloß Lars sein Denken; er richtete seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge.)
Er saß da, das ausgepackte Sofortpost-Paket von Henry Morris vor sich. Eine Notiz von Henry teilte ihm mit, daß dieser Gegenstand das einzige Labyrinth-Spielzeug sei, das die Firma Klug in den letzten sechs Jahren produziert habe und von Lanferman & Co. hergestellt worden sei.
Dieser kleine, quadratische Gegenstand war es.
Der gedruckte Prospekt von Vincent Klugs Fabrik lag bei. Lars hatte ihn mehrmals durchgelesen.
Das Labyrinth war in sich einfach genug, aber für seinen in der Falle sitzenden Insassen stellte es eine unüberwindliche Barriere dar. Das Labyrinth war seinem Opfer nämlich unentrinnbar einen Sprung voraus. Der Insasse konnte nicht gewinnen, gleichgültig, wie schnell oder geschickt oder unermüdlich er lief, Haken schlug, sich zurückzog, es erneut versuchte, die eine richtige (mußte es eine richtige geben?) Kombination suchte. Er konnte nie entkommen. Er konnte nie Freiheit finden. Denn das Labyrinth, betrieben von einer Zehnjahresbatterie,
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