Das Labyrinth der Wörter
Krieg (1954 bis 1962). Und dass ich, wenn er in diesem Krieg gefallen wäre, nie das Licht der Welt erblickt hätte – was niemanden weiter gestört hätte –, weil ich erst im April 1963 geboren bin. Am 17.
Das alles zusammengenommen, wusste ich beim besten Willen nicht, wie ich der armen alten Frau meine Geschichte verpacken sollte. Ich saß da wie ein Trottel und seufzte über meine Version der Dinge, die einfach nicht besser werden wollte, sosehr ich sie auch drehte und wendete.
Da hat sie zu mir gesagt: »Es tut mir leid, Monsieur Chazes. Ich merke, dass meine Frage sehr indiskret war, ich bitte Sie um Verzeihung. Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen, wirklich, es tut mir so leid …«
»Ist nicht schlimm.«
Und das stimmte auch, es war nicht schlimm. Mein Vater ist mir schnurz. Er ist einfach bloß mein Erzeuger.
A ls ich an dem Tag nach Hause kam, habe ich mich gefragt, warum mir eigentlich so viel daran lag, meinen Namen auf diese verdammte Marmorliste zu setzen. Wenn ich nämlich ernsthaft darüber nachdachte – was ich damals nicht gern tat –, wusste ich natürlich schon, dass ich nicht im Krieg gewesen war. Und ich wusste auch, dass man tot sein muss, um aufgenommen zu werden. Auch wenn ich vor Devallée, dem stellvertretenden Bürgermeister, den Idioten spielte.
Ich, Germain Chazes, wusste also genau, dass man erst abkratzen muss, damit man das Recht hat, in Großbuchstaben auf das Denkmal eingraviert zu werden und sich von den Parktauben vollkacken zu lassen.
Warum also, warum lag mir so verdammt viel daran, auf dieser Liste zu stehen? Wollte ich das Gefühl haben, dass ich irgendwo dazugehörte, dass ich ein bisschen existierte, auch wenn ich nicht wirklich auf allen Oberflächen »unauslöschlich« war? Oder sollte sich irgendjemand fragen: »Ach, wer mag das wohl sein, dieser Typ, der ständig seinen Namen auf das Gefallenendenkmal schreibt? Warum tut er das?«
Ich hätte gern mit jemandem über das alles geredet, aber mit wem? Mit Landremont oder Marco lohnte es sich nicht, die hätten mich bloß wieder für einen Trottel gehalten. Bei Julien wusste ich nicht so richtig. Jojo, Youssef – auch nicht. Und Annette?
Ja, vielleicht war das eine Sache, über die man mit einer Frau reden konnte.
Es ist komisch mit den Frauen: Sie kapieren nichts und wieder nichts, man kann regelrecht zugucken, wie die sich verarschen lassen, aber für bestimmte Sachen haben sie einfach die besseren Antennen. In null Komma nichts erklären sie dir, wie du tickst, da innen drin. Und sie liegen damit gar nicht immer falsch. Manchmal haben sie sogar genau das richtige Gespür.
Da ist mir plötzlich was Erstaunliches aufgefallen: Ich war dabei, über mich selbst nachzudenken, über meine Art, zu denken, zu reagieren, lauter so Sachen. Mannomann!, habe ich mir gesagt.
Das war neu für mich, und mir wurde ganz schwindelig. Denn vor diesem Tag, da habe ich eben gedacht oder nicht gedacht. Entweder das eine oder das andere. Und wenn ich dachte, dann hielt ich mich nicht weiter damit auf, es passierte im Grunde ohne mich. Wenn ich dachte, dann ganz ohne zu überlegen.
Aber wenn ich das so erkläre, ist es nicht sehr klar, merke ich. Jedenfalls war ich es nicht gewohnt, mir über das Warum und Weshalb den Kopf zu zerbrechen.
Ohne es zu wollen, hatte Margueritte eine verdammte Lust am Nachdenken in mir geweckt, so was wie einen Ständer im Hirn.
Und am Abend dann, während ich vor dem Wohnwagen mein Steak grillte, sind mir ein Haufen Sachen eingefallen, die mir passiert sind, seit ich klein war. Zum Beispiel das, was ich Ihnen über Monsieur Bayle erzählt habe. Die Streiterei mit meiner Mutter. Gardini, dieser Dreckskerl – von dem spreche ich später noch. Das erste Mal, wo ich eine Tasche gestohlen habe – aber na ja, da war ich noch klein, alle Kinder machen so was. Die Armee. Die Besäufnisse undSchlägereien in den Bars. Die Kartenspiele und die Affären. Die ganzen Lackaffen, die mich verarschen und glauben, dass ich es nicht mitkriege.
Und die Jahre, die so schnell vergangen sind, dass ich jetzt, wie Landremont sagt, von der Statistik und der Lebenserwartung her dem Ende näher bin als dem Anfang.
Dann habe ich mich an all die Sachen erinnert, von denen ich träumte, als ich klein war. Und sogar an die Berufung – Befähigung, Neigung (zu einem Beruf, einem Stand) –, die ich mit etwa zwölf gespürt habe. Jedes Mal, wenn die Kirche offen war, fand ich einen Grund reinzugehen.
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