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Das Labyrinth der Wörter

Titel: Das Labyrinth der Wörter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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sind in Ordnung, aber man sollte es nicht übertreiben. Bei Landremont wird es toleriert, weil er der Älteste ist und der einzige Automechaniker. Aber sogar Julien, der Abitur hat, oder Marco, der fünf Sprachen spricht – wegen seiner italienischen Abstammung und den verschiedenen Stiefvätern: einem Serben, einem Rumänen und seit gut zehn Jahren einem Spanier –, auch die geben nicht an. Deshalb werde ich jetzt nicht damit anfangen, mit meinem Brachland im Kopf – siehe: unkultiviert .
    Ich bin also ohne Umwege nach Hause, ich hatte Angst, jemanden zu treffen. Im Wohnwagen versteckte ich das Wörterbuch wie ein Pornoheft, so sehr schämte ich mich. Gleichzeitig, und das war das Seltsame, hatte ich den gleichen Drang wie bei einem Porno, es zu öffnen. Tja.
    Erst zögerte ich. Und dann sagte ich mir: Wie wär’s, wenn ich mal ein schwieriges Wort suchen würde, um mir ein Bild zu machen? Zum Beispiel: Labyrinth .
    Und da habe ich einen unglaublichen Haken an der Sache entdeckt: Um im Wörterbuch ein Wort zu finden, muss manes schon schreiben können ! Was bedeutet, dass Wörterbücher nur gebildeten Leuten nützen, die sie aber gar nicht so sehr brauchen.
    Da rodet man ganze Wälder am Amazonas mit der Kettensäge, um Wörterbücher draus zu machen, die dir helfen sollen, dir aber letztlich nur zeigen, wie blöd du bist? Es lebe die Politik!
    Margueritte kann nichts dafür, sie ist eben auf der Seite der Bücher geboren, für sie ist das Geschriebene ganz natürlich. Und weil ich ihr Geschenk nicht missachten wollte, habe ich dann versucht, Sachen darin zu finden, bei denen ich mir sicher war, wie man sie schreibt.
    Verdammt und Scheiße , ja. Schlampe auch. Arschficker nicht.
    O. M. , die Fußballmannschaft von Marseille, nicht, aber Saint-Étienne schon – wahrscheinlich, weil das auch eine Stadt ist.
    Es war schon ziemlich vollständig für ein altes Wörterbuch.
    Danach habe ich zum Spaß nach den Namen von Bekannten gesucht. Aber ich habe weder Landremont gefunden noch Marco, Julien, Zekouc-Pelletier, Youssef, Francine, Annette oder Chazes.
    Margueritte schon, aber ohne »u« und mit nur einem »t«, das ist ein Blumenname.
    Beim Suchen nach Germain bin ich auf Germanien gestoßen: Name der Gegend Europas, die heute ungefähr Deutschland entspricht, zur Römerzeit. S. Germanen. Weil da dieses S. für Siehe stand, habe ich nachgeschaut: von lat. Germanus, Bruder. Bewohner Germaniens (Burgunden, Franken, Goten, Langobarden, Sachsen, Sueben, Teutonen und Vandalen) , und das habe ich dann in meinem Kopf gespeichert, für alle Fälle.
    Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis, wenn ich mir was merken will.
    Dann habe ich Spatz gesucht: S. Haussperling . Kleiner, braun-beige-grauer Singvogel mit dunklem Latz . Der Latz , falls Sie das nicht wissen sollten, hat nichts mit unserem Hosenlatz zu tun, eher schon mit dem Lätzchen von kleinen Kindern: Bei Vögeln ist das ein Fleck auf der Kehle .
    Etwas enttäuscht war ich dagegen bei Tomate , über die man lesen kann: krautige, einjährige Pflanze aus der Familie der Nachtschattengewächse, die für ihre als Gemüse verwendeten roten, fleischigen Früchte angebaut wird  – bis dahin einverstanden. Aber etwas weiter dann: S. Roma . Und da sage ich: Nein. Nachtschattengewächse okay und so viel man will, aber warum ausgerechnet Roma ? Damit die Leute glauben, dass es nur diese eine Sorte gibt? Werden die Wörterbuchschreiber dafür bezahlt, sich kurzzufassen, oder was? Schreiben sie nicht mehr hin, um Papier zu sparen oder weil es kultivierten Leuten egal ist, was in unseren Bodenkulturen alles wächst?
    Ich sage das nicht, um ein Geschenk zu kritisieren, das ich bekommen habe, aber ehrlich, in dem Punkt wusste ich eine Menge mehr als das Wörterbuch von Margueritte. Aus rein persönlicher Quelle kann ich sofort aus dem Ärmel schütteln, ohne nachdenken zu müssen: die Tonnelet, die Saint-Pierre, die Weiße Schönheit, die Schwarze Krim, die Goldene Königin, die Buissonante, die Black Prince, die Maiglöckchen, die Délicate und die Tafelfreude, ohne die Marmande und die Douce de Picardie zu vergessen.

 
    W issen Sie, es ist wirklich die Hölle, in Ihrem Wörterbuch was zu finden.«
    Margueritte hat eine Augenbraue hochgezogen. »Die Hölle …?«
    »Das ist bildlich gesprochen. Ich meine, es ist kompliziert.«
    »Ach so … Aber warum denn kompliziert?«
    Ich trug das seit dem Abend davor mit mir rum und war es auch auf dem Weg in den Park nicht

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