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Das Labyrinth der Wörter

Titel: Das Labyrinth der Wörter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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lachte und zuckte die Achseln, er sagte bloß, da bräuchte man keine große Sache draus zu machen, solange es Kinderkram wäre und keine Nazikreuze oder so was. Das würde die Faulpelze von der Stadtreinigung ein bisschen beschäftigen, die würden ja sonst keinen Finger krumm machen. Francine sagte nichts, wegen dem Liebeskummer, der an ihr nagte. Landremont war wütend. Er meinte, die kleinen Rowdys, die das getan hätten, gehörten geteert und gefedert, damit sie als abschreckendes Beispiel dienten.
    Julien nickte. »Es stimmt schon, das ist eine Schande. Der neue Bau ist zwar hässlich, aber wenigstens war er sauber. Und es sind unsere Steuern, die dafür draufgehen, falls euch das nicht klar ist, die werden uns die Kosten fürs Saubermachen nämlich nicht schenken. Die ganze Fassade neu streichen, das wird einen Batzen Geld kosten, sag ich euch!«
    »Sie haben auch auf der Seite zur Rue Faïence gesprayt«, ergänzte ich.
    »Verdammt, das gibt’s doch nicht!«, wütete Landremont. »Diese kleinen Scheißer! Vandalen sind das, jawohl! Vandalen.«
    »Genau«, habe ich gesagt, »Vandalen. Und sogar Teutonen! Teutonen sind das!«
    Sie haben sich alle dumm angeschaut. Julien hat gemeint: »Hä? Wie kommst du auf Teutonen?«
    »Teutonen eben! So wie die Langobarden.«
    Landremont hat den Kopf geschüttelt. »Tut mir leid, verstehe ich nicht … Kapiert ihr das?«
    »Nee.«
    »Erklär es uns, Germain, lass uns nicht mit diesem ungelösten Rätsel weiterleben.«
    »Was gibt es da zu erklären? Du bist doch ein gebildeter Mensch, oder?«
    Wenn es einen Punkt gibt, an dem Landremont empfindlich ist, dann bei Bildung und Wortschatz. Er hat immer null Fehler bei allen Quizsendungen im Fernsehen, vor allem bei so haarsträubenden Aufgaben wie: Nennen Sie eine Gemüsesorte aus der Familie der Nachtschattengewächse! (Tomate.)
    Ich habe kapiert, dass ich ihn an seinem wunden Punkt erwischt hatte, habe es an der Art gesehen, wie er sich mit der Hand über die Stirn fuhr, als würde er hoffen, dort seine Haare wiederzufinden.
    Er hat schließlich gesagt: »Könntest du etwas deutlicher machen, wovon du eigentlich redest?«
    » Du redest davon! Du sagst: Vandalen, also sage ich: Teutonen. Oder Langobarden. Ich hätte auch was anderes sagen können, was weiß ich … Burgunden.«
    »Ist der besoffen oder was?«, hat Julien gefragt.
    »Nein, bin ich nicht. Ihr müsst doch bloß mal ein bisschen weiterdenken: Ich gebe euch Beispiele von germanischen Völkern!«
    »Ach so«, hat Marco gemeint. »Waren da also doch Hakenkreuze an der Fassade?«
    »Verdammt, bist du so doof, oder tust du nur so? Germanisch , von Germanus , so wie ›Germain‹. Ich habe nichts von Nazis gesagt.«
    »Die Germanen sind schließlich nicht alle Nazis«, hat Landremont hinzugefügt. »Aber wo hast du das denn her?«
    »Wo habe ich was her?«
    »Diese Namen da: Burgunden, Langobarden …«
    »… Teutonen«, hat Marco hinzugefügt.
    Ich habe geschrien: »Du hast doch damit angefangen, verdammt noch mal! Du hast gesagt, die Sprayer sind Vandalen, deshalb habe ich …«
    Landremont hat auf den Tisch gehauen. »Jetzt hab ich’s, Jungs! Ich glaube, ich hab’s kapiert.«
    »Na, da hast du aber Glück«, hat Marco gemeint.
    Landremont hat das Kinn hochgereckt. »Könntest du sie uns mal alle aufzählen, deine germanischen Völker?«
    »Kein Problem! Also: Burgunden, Franken, Goten, Langobarden, Sachsen, Sueben, Teutonen und Vandalen.«
    Landremont hat angefangen, sich kaputtzulachen, und hat wiederholt: »… und Vandalen! Da haben wir’s! Und sogar in alphabetischer Reihenfolge!«
    Marco hat gemeckert: »Wenn es was Privates ist, sagt es ruhig. Dann lassen wir euch allein. Ihr braucht nur das Licht ausmachen, wenn ihr geht.«
    Landremont hat mir zugezwinkert. »Du bist mir einer, Germain! Immer wieder für Überraschungen gut, weißt du das? Neulich kommst du uns mit der Pest von Camus, heute zauberst du uns die alten germanischen Völker aus dem Hut … Was kommt als Nächstes? Wirst du uns Maupassant zitieren?«
    »Hör auf«, hat Julien gesagt. »Lass ihn doch in Ruhe.«
    Aber Landremont lässt nicht so schnell locker. Wenn er erst mal einen Knochen erwischt hat, dann verbeißt er sich,unmöglich, ihn davon wegzukriegen. Mit einem herausfordernden Blick hat er mich gefragt: »Maupassant, das sagt dir doch bestimmt auch was, oder?«
    »Na sicher, klar!«
    »Ohne jeden Zweifel. Was hat der denn so geschrieben?«
    »Fahr zur Hölle!«
    »Ach komm, sag

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