Das Labyrinth der Wörter
bin da im Lager, packe Farbtöpfe aus, verteile sie in die Regale und bringe Kartons und Plastikfolien zum Müll, lauter so Sachen, aber das ist nur eine kleine Auswahl von dem, was ich alles kann.
Was gerade so anfällt – das ist meine Spezialität.
Bei Manpower & Co. kennen sie mich gut. Sie wissen, dass mein Trumpf nicht unbedingt die Schulabschlüsse sind. Aber wenn es darum geht, sich einen Zementsack auf die Schulter zu laden und dabei noch einen Witz zu reißen, bin ich unschlagbar. Sobald sie einen undankbaren Job haben – siehe: mühsam, nicht lohnenswert –, den niemand machen will, bin ich dran, das ist klar.
Es gibt eben solche, die in Büros mit Teppichboden und Plastikpflanzen sitzen, und andere wie mich, die Blut und Wasser schwitzen, um drei Euro zu verdienen.
Das ist halt so. Jedem seine Scheiße.
Das Problem mit der Arbeit ist, dass man eine braucht, um leben zu können. Na ja, zumindest braucht man sie lange genug, um danach Arbeitslosengeld zu kriegen. Ansonsten ist Arbeiten nicht gerade meine Leidenschaft, jedenfalls wenn man dabei so schuften muss.
Landremont sagt, mein Problem ist, dass ich keinen Ehrgeiz habe.
Das Problem von Landremont ist, dass er immer zu allem eine Meinung haben muss.
Ich glaube, man kann auch normal sein, ohne dass man wahnsinnig gern arbeitet. Ich finde es eher komisch, wenn es andersrum ist. Immerhin gibt es Milliarden von Menschen, die leben, ohne zu arbeiten. Zum Beispiel die Jíbaros. Als ich klein war, habe ich natürlich nicht davon geträumt, später mal Bausteine zu schleppen oder Paletten und Lastwagenreifen abzuladen. Auch nicht davon, Karriere als Arbeitsloser zu machen. Was ich wirklich werden wollte – abgesehen von der Berufung, von der ich schon erzählt habe, dem Kirchenfenstermacher –, das war Amazonas-Indianer. Mein Onkel Georges hatte mir ein Buch über die geschenkt, aus einem Trödelladen, mit tausend Fotos drin.
Das habe ich lange ganz unten im Schrank in meinem Zimmer versteckt.
Und wenn bestimmte Leute mir zu sehr auf die Nerven gingen (Monsieur Bayle oder Cyril Gontier, mein Lieblingsfeind, ganz zu schweigen von meiner Mutter, die da immer auf Platz eins war), dann holte ich abends dieses Buch hervor, machte es mir im Bett gemütlich und schaute mir die Fotos an.
Ich sah mich selbst als Indianerhäuptling mit tadellos frisierten Federn. Ich sagte mir, wenn sie mir weiter das Leben so schwermachen, bastele ich mir Giftpfeile und schieße sie ihnen in den Hintern. Und dann stehe ich ganz ruhig daneben, mit meinem Blasrohr in der Hand, und schaue zu, wie sie röchelnd verenden.
Als Kind hat man noch Träume.
Wie auch immer, Amazonas-Indianer, das ist schon was, finde ich. Die laufen fast nackt rum, abgesehen von ihren Halsketten und Flitzebogen, und außer ein bisschen Flötespielen oder Kriegführen tun sie nichts. Sie besaufen sich am Lagerfeuer mit Lianenschnaps oder mit sonst was und rauchen aus religiösen Gründen Tonnen von Gras.
So lässt es sich aushalten. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich von morgens bis abends an ihren Frauen sattsehen können, weil die nämlich mit nackten Brüsten rumlaufen und auch den Rest nur mit einer Feder bedecken. Sie angeln, sie jagen, sie sammeln Pflanzen, um Gift für ihre Pfeile zu machen. Sie bauen ein paar Kürbisse, Maniok und ein bisschen Tabak an. Sie verbringen ihre Zeit nicht damit, Kisten zu schleppen. Sie leben im Paradies auf Erden, wenn man mich fragt.
Das Problem ist nur: An den Tagen, wo Landremont sich um meine Zukunft sorgt und mich mit Fragen nervt – »Herrgott, Germain, du wirst doch nicht dein ganzes Leben lang so weitermachen? Mit fünfundvierzig musst du doch irgendeinen Ehrgeiz haben!« –, da kann ich ihm ja nicht antworten: »Ich will Jíbaro-Indianer werden.«
Erstens würde er mich für verrückt erklären, nachdem er mich sowieso schon für bescheuert hält. Und so wie ich ihn kenne, würde er dann anfangen, vom Ozonloch zu reden, vom Erdöl, den multinationalen Konzernen und der Abholzung, von Sumpffieber und Malaria (was wirklich Scheißkrankheiten sind), und das Ganze würde in einer Katastrophe enden, mit einem Massensterben in ganz Amazonien.
Ich weiß nicht, ob das daher kommt, dass er Witwer ist und Leberzirrhose hat, aber in letzter Zeit hat Landremont nichts Besseres zu tun, als einem das Paradies mit nur zwei, drei Sätzen in eine Müllkippe zu verwandeln.
Er raubt einem den letzten Traum.
A m Anfang fand ich Margueritte witzig.
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