Das Labyrinth der Zeit
wenigen Leute auf der Welt, die ihr auf dem Gebiet der Informationssicherheit das Wasser reichen konnten, hätten gut und gern in einem Aufzug mittlerer Größe Platz gefunden.
«Das Krankenhaus wird ja wohl die Polizei eingeschaltet haben, als man bemerkte, dass Ward nicht mehr da war», sagte Bethany, «aber jede Einsatzinfo aus dieser Zeit ist längst nicht mehr greifbar. Solche Daten wurden erst ab Ende der Achtziger im Computer gespeichert. Falls dazu schriftliche Akten archiviert sind, eine Vermisstenmeldung etwa mit Zeugenaussagen und vielleicht sogar einer Auswertung der Kameraaufzeichnungen im Krankenhaus, habe ich sie jedenfalls nicht finden können. Möglich, dass der Ordner mit den entsprechenden Unterlagen auf irgendeinem Regal herumsteht, über Breitband habe ich dazu nichts auftreiben können.»
«Wie sieht es mit einem Grundriss des Krankenhauses aus?», fragte Paige.
Bethany runzelte die Stirn. «Dazu habe ich was gefunden, aber es wird euch nicht gefallen.»
Sie brachte einen Tablet-PC aus der großen Seitentasche ihrer Hose zum Vorschein, schaltete ihn an und öffnete eine Bilddatei. Zu sehen war eine riesengroße, hochauflöslich eingescannte Blaupause, auf der ein Teil des Johns-Hopkins-Geländes in Draufsicht dargestellt war. Sie zog das Bild nach unten, bis nur noch der oberste Rand zu sehen war: die Monument Street, die zwischen Broadway und Wolfe Street verlief, eine Strecke von gut zweihundertfünfzig Metern.
«Du willst dich draußen vor das Gebäude stellen, auf der Nordseite, und die Ausgänge im Auge behalten, richtig?», sagte Bethany zu Travis gewandt. «Warten, bis Ruben Ward herauskommt?»
Er nickte.
«Zuerst die gute Nachricht», fuhr sie fort. «Sämtliche Ausgänge dürften sich auf einmal überblicken lassen. Die Nordseite des Hospitals sah schon 1978 ungefähr so aus wie heute: vier verschiedene Ausgänge zur Monument Street hin, alle von der anderen Straßenseite aus grob zu überblicken. Wenn man berücksichtigt, in welchem Teil des Gebäudes die Koma-Abteilung untergebracht ist, hätte Ward jeden beliebigen der vier Ausgänge benutzen können.»
«Besonders, wenn er erst eine Weile umhergeirrt ist, ehe er einen gefunden hatte», ergänzte Travis. «Ich werde also keine Voraussagen treffen, wo genau er auftauchen wird.»
«Tja, das ist die schlechte Nachricht», entgegnete Bethany. «Eben darum wirst du nicht herumkommen.»
Sie zoomte den Bildausschnitt heran, bis das mittlere Drittel der Nordseite den Bildschirm ausfüllte. Bei dieser Auflösung rückte etwas in den Fokus, das zuvor noch nicht zu erkennen war: ein breiter Abschnitt der Monument Street, der mit Diagonalschraffur markiert war. Sie reichte bis zum Gehweg unmittelbar vor dem Gebäude. Insgesamt waren etwa fünfzehn Meter der Straße schraffiert.
«Was ist das denn?», fragte Paige.
«Eine Baustelle. Ein Versorgungstunnel für die U-Bahn von Baltimore. Das U-Bahn-System wurde zwar erst 1983 in Betrieb genommen, aber die Bauarbeiten hatten schon Jahre davor begonnen. Mit dem U-Bahn-Tunnel selbst, der an der Kreuzung Broadway und Monument Street endet, hatte man im Frühjahr 1978 noch gar nicht angefangen. Zu der Zeit wurde zunächst ein Tunnel für Stromleitungen und Wartungszwecke gegraben, hundertzwanzig Meter von dieser Kreuzung entfernt, genau mittig vor der Nordseite des Krankenhauses.» Sie zog das Bild nach links und rechts und deutete auf die Ausgänge, die Ward benutzen könnte. «Zwei Türen befinden sich westlich der Baustelle, zwei östlich. Du wirst dich also notgedrungen für eine Seite entscheiden müssen, vor der du warten willst. Auf direktem Weg wirst du die Baustelle wohl nicht überqueren können.»
«Vielleicht doch», sagte Travis. «So spät abends dürfte die Baustelle ja wohl menschenleer sein, weil die Arbeiter längst Feierabend gemacht haben.»
«Das muss nicht so sein», widersprach Bethany, «aber selbst wenn du recht hättest, bildet die Baugrube selbst ein erhebliches Hindernis. Das ist nicht bloß eine aufgerissene Asphaltdecke, die ringsum mit Kunststoffband abgesperrt ist. Ich habe einen alten Artikel der Baltimore Sun dazu ausgegraben. Das Bauprojekt dauerte von März bis September, und der Tunnel wurde neun Meter unterhalb der Straße angelegt. Wenn man im März angefangen hat, waren die Ausschachtungsarbeiten Anfang Mai definitiv abgeschlossen, jede Wette. Da dürfte also eine Art Grand Canyon klaffen, der den gesamten Straßenabschnitt unpassierbar
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