Das Labyrinth der Zeit
macht.»
«Anders gesagt, wenn du vor der falschen Seite wartest», sagte Paige, «musst du um den ganzen Block herumlaufen, um Ward noch zu erwischen. Wie groß ist der Block nördlich der Monument Street? Ist das so ein Quadratklotz wie das Krankenhaus, oder ist er schmaler?»
«Schmaler, normalerweise», erwiderte Bethany. «Bis zur Madison Street im Norden sind es nur ein-, zweihundert Meter. Aber die ist ebenfalls aufgerissen, du müsstest also weiter bis zur nächsten Querstraße, der Ashland Avenue. Ich habe es bereits durchgerechnet. Egal, von wo aus du Ausschau nach Ward hältst, wenn du auf der falschen Seite wartest, wirst du mindestens achthundert Meter ums Karree herumrennen müssen. In der Zeit könnte er in eine der Dutzend Seitenstraßen abgetaucht sein oder sogar ein Taxi angehalten haben – selbst wenn er den Fahrer hätte umbringen müssen, na und? Er wird es ja äußerst eilig gehabt haben, von dort zu verschwinden.»
Paige blickte von dem Computer auf und sah Travis an. «Ich hoffe mal, du warst mit zehn ein schneller Läufer.»
«Ich auch, denn einen zweiten Versuch habe ich ja nicht. Die Erinnerung ist hinterher verbrannt, ob ich das Notizbuch bekomme oder nicht.»
14
In den nächsten zwanzig Minuten überlegten sie eilig alles, was sich für Travis’ Vorhaben eben planen ließ. Sie warfen einen Blick auf die Straßenkarte, um die Route festzulegen – elfhundert Meilen, für die eine Fahrzeit von etwa sechzehn Stunden zu veranschlagen waren, wenn man von heutigen Geschwindigkeitsvorgaben ausging.
«Aber 1978 sah das anders aus», sagte Travis. «Damals galt ein Tempolimit von fünfundfünfzig Meilen in der Stunde. Neunzig Stundenkilometer. Überall.»
«Sogar auf Autobahnen?» Bethany runzelte zweifelnd die Stirn.
Travis nickte. «Sammy Hagars Lied damals war kein Witz.»
Er überschlug die Rechnung rasch im Kopf: Mit maximal 90 km/h würde die Fahrt zwanzig Stunden dauern.
Was gewisse Schwierigkeiten aufwarf.
Das Auto entwenden könnte er erst spätabends, wenn seine Eltern schon schliefen. Also lange nach Mitternacht, eher so gegen ein oder zwei Uhr. Zwanzig Stunden nach zwei Uhr morgens wäre es zehn Uhr abends – in der mittleren Zeitzone. In Baltimore wäre es schon eine Stunde später. Hinzu kamen die Tankstopps, die bei der Methode, die Travis anwenden wollte, etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen würden, sodass zur Fahrzeit locker eine Stunde hinzuaddiert werden musste. Vor Mitternacht also würde er das Johns-Hopkins-Hospital nicht erreichen, und das auch nur, wenn alles glatt lief.
«Bis dahin könnte Ward schon längst weg sein», sagte Paige. «Wir wissen schließlich nur, dass er irgendwann nach Noras Aufbruch in ihr Hotel abgehauen ist, und um wie viel Uhr sie aufgebrochen ist, wissen wir nicht. Ob um neun Uhr abends, also noch Sonntag, den 7. Mai, oder erst um drei Uhr früh am Montagmorgen. Wenn du erst um Mitternacht ankommst, läufst du Gefahr, ihn längst verpasst zu haben.»
«Und vielleicht schaffe ich es sogar erst Stunden später», ergänzte Travis. «Falls mein Vater länger aufbleibt und erst um vier schlafen geht. Oder wenn ich unterwegs in Staus gerate.» Er starrte Bethanys Computer an, auf die farblich hervorgehobene Route, die sich durch sieben Bundesstaaten nach Osten schlängelte. «Ich fahre einen Tag früher. Entwende das Auto schon Freitagnacht, damit ich am späten Samstagabend in Baltimore ankomme.»
«Dann hast du dort aber eine Menge Zeit totzuschlagen», sagte Bethany.
«Vielleicht schaue ich mir ein Baseballspiel in den Camden Yards an. Obwohl, meine Güte, Cal Ripken war ja damals noch gar nicht bei den Orioles .»
Eine Minute später dachte Travis an einen anderen Baseballspieler – einen Spieler, der zwei Tage vor Ruben Wards Verschwinden Schlagzeilen gemacht hatte. Wobei Travis sich nicht von selbst an dieses Ereignis erinnert hatte; auf die Sprünge geholfen hatte ihm dabei einer von Dutzenden Zeitungsartikeln, die Bethany in einem Nachrichtenarchiv aufgestöbert hatte, um ihm bei der Eingrenzung des Datums zu helfen, zu dem er in seiner Erinnerung zurückkehren musste. Konkret vermochte er aus dem betreffenden Zeitraum sonst nichts aus seinem Gedächtnis zu fischen, von flüchtigen Impressionen aus der fünften Klasse einmal abgesehen, die sich jedoch chronologisch unmöglich näher einordnen ließen.
«Das Spiel fand an dem Freitag statt, zu dem du zurückkehren willst», sagte Bethany. «Am 5. Mai also. Die
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