Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Labyrinth der Zeit

Das Labyrinth der Zeit

Titel: Das Labyrinth der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Patrick
Vom Netzwerk:
Geschichte hätte demnach am Samstag in der Zeitung gestanden, mutmaßlich sogar auf der Titelseite – selbst in Minneapolis. Du solltest dir also diesen Samstag vor Augen rufen und dann zum Freitagabend davor zurückspulen, ehe du vollständig in die Erinnerung zurückkehrst.»
    Travis nickte und bemühte sich, sich auf die Nachricht über das Spiel zu konzentrieren. Als ebenso begeisterter Baseballfan wie die anderen Jungen in der Nachbarschaft hatte er von dieser Geschichte seinerzeit mit Sicherheit Notiz genommen. Und wenn ihm nur an dem Samstag zufällig die Schlagzeile ins Auge gefallen wäre.
    «Falls du die Sache damals mitbekommen hast, und sei es nur am Rande», sagte Paige, «wirst du dich daran erinnern, sobald du den Anzapfer im Kopf hast. Stell dir einfach den Namen bildlich vor, als Zeitungsschlagzeile. Und auch diese Zahl.»
    Der Anzapfer lag auf dem Tisch vor ihm. Starrte ihm, auf seine Art, entgegen.
    Kein Grund, es noch länger aufzuschieben.
    Kurz entschlossen schnappte er sich den kleinen Würfel, drückte ihn sich an die Schläfe und kniff fest die Augen zu. Schon jetzt merkte er, wie sich sein Puls beschleunigte, noch ehe der Schmerz überhaupt angefangen hatte.

    Zehn Sekunden. Höllenqualen, die alle anderen Empfindungen überlagerten. Der dünne Faden, der sich nach und nach quer über sein Gehirn schlängelte. Sich in Windungen zuckend und unter heftigem Druck unaufhaltsam vorwärtsstieß.
    Bis er vollständig eingedrungen war und innehielt, sodass er nicht mehr zu spüren war. Während der Schmerz langsam verebbte, kam Travis zu Bewusstsein, dass Paige ihn von hinten umarmt hielt. Sie neigte sich über seine Schulter und schmiegte ihre Wange an die seine.

    Er stand auf, ging zur Couch hinüber und legte sich hin. Paige und Bethany ließen sich in die beiden Sessel sinken, um ihn im Auge zu behalten. Egal, wie die Sache ausging, schon in wenigen Minuten würden sie es erfahren.
    Travis schloss die Augen. Er bekam noch mit, wie Paiges Handy zu klingeln begann, und dann hatte er auch schon das Gefühl, im bodenlosen Nichts zu versinken.

    Formloses Dunkel. Kein Körper. Keine Gliedmaßen. Gedanken und Erinnerungen wie losgelöst im leeren Raum.
    Der Name.
    Die Zahl.
    Schon beim ersten Versuch, sich beides vorzustellen, stand ihm das Bild vor Augen, klar und gestochen scharf wie ein Foto, das ihm jemand unter die Nase hielt. Zu sehen war der Esszimmertisch im alten Haus seiner Eltern. Staub schwebte umher, sichtbar gemacht vom schräg einfallenden goldenen Licht der Nachmittagssonne. Das alles sah er aus einem merkwürdig niedrigen Blickwinkel, auch die Post, die am Tischrand verstreut lag, als befänden seine Augen sich nicht allzu weit darüber.
    Quer über der Post, so als wäre sie eben erst dort abgelegt worden, lag eine Zeitung. Travis richtete den Blick auf eine Schlagzeile in der Ecke rechts unten, eben noch sichtbar oberhalb der Knickfalte.
    Rose erzielt seinen 3000. Hit.
    Die Datumszeile der Zeitung lautete: Samstag, 6. Mai 1978.
    Travis ließ den Moment rückwärts laufen. Verfolgte, wie der Gesichtswinkel sich wieder von dem Tisch entfernte und rückwärts den Weg entlangglitt, den er gerade zurückgelegt haben musste.
    Aus dem Esszimmer hinaus. Über den Flur auf sein Zimmer zu. Die Einzelheiten, die er dabei wahrnahm, waren ebenso fremd wie sonderbar vertraut – dies war noch das alte Haus. Das kleine Haus, in dem sie gewohnt hatten, ehe das Geld aus den illegalen Einnahmequellen seiner Eltern zu sprudeln begann. Der einzige Ort, an dem er sich, zumindest als Kind, wirklich zu Hause gefühlt hatte. Spontan packte ihn eine Art Widerwillen, sich dort allzu genau umzusehen.
    Er spulte schneller zurück, bis alles verwischte und seine optische Wahrnehmung rückwärts durch einen wahren Sturzbach von Bildern sauste, denen er kaum zu folgen vermochte. Jähe Phasen des Rückwärtslaufens, die ihm den verstörenden Eindruck vermittelten, in einen Brunnen zu stürzen. Dazwischen kurze Momente, in denen er sich über eine Zeitschrift beugte oder fernsah – flüchtig sah er Bugs Bunny an sich vorbeihuschen, den Road Runner, Elmer Fudd und Willi Kojote. Dann nahm er plötzlich das Prasseln der Dusche wahr, Seife und Shampoo, und sah gleich darauf, den Bruchteil einer Sekunde lang, sein eigenes kleines Gesicht in einem Spiegel, mit einer Zahnbürste, die hektisch in seinem Mund umherfuhrwerkte wie eine Stichsäge. Darauf folgte ein kurzer Blick auf sein Kopfkissen, ehe es dunkel wurde

Weitere Kostenlose Bücher