Das Labyrinth des Maal Dweb
unerbittlichen Gesetzen der Natur, wie er war, keinerlei Vorurteil gegen derartiges Vampirverhalten. Das hieß aber noch längst nicht, dass er selbst solchem Vampirismus anheimzufallen wünschte.
Er umkreiste die seltsame Sippschaft in einiger Entfernung und im Schutz von Felsblöcken, die üppig mit roten und gelben Flechten überwuchert waren, wobei er für die Blumenfrauen unsichtbar blieb. Bald hatte er sich an den lückenhaften äußeren Ring einer von seinem Ankunftsort aus stromabwärts gelegenen Ansammlung jener Gewächse herangepirscht. Und hier bestätigte sich, was er schon daheim in seinem Planetarium auf dem Miniaturmodell des Votalp gesehen hatte: Dort, wo fünf vereinzelte Blumen abseits ihrer Gefährtinnen gestanden hatten, wo jetzt der Boden zerwühlt und aufgebrochen war, hatte jemand die fünf mit roher Gewalt entwurzelt und ausgerissen. Er selbst war im Planetarium Zeuge des jüngsten Raubes gewesen und wusste, dass die verbliebenen Blumenfrauen um ihre Schwestern weinten.
Plötzlich, als hätten die Blumenfrauen ihre Trauer vergessen, sprang das Wehklagen in einen wilden, süßen, wollüstigen Gesang über, wurde zur loreleyhaft-melodischen Lockung. Da erkannte der Zauberer, dass die Blumenfrauen seine Gegenwart bemerkt hatten. So vertraut er mit derlei Behexungen war, zeigte Maal Dweb sich beileibe nicht taub für den gefährlichen Ruf dieser Stimmen. Gegen seinen Willen und der Gefahr kaum mehr achtend, fühlte Maal Dweb sich aus seinem Versteck geködert und aus dem Schatten der flechtenbekrönten Felsen gezogen. Unmerklich und tückisch versetzte die Melodie sein Blut in befremdliche, berauschende Wallung und verwirrte sein Hirn wie ein benebelnder Wein. Langsam, schrittweise, unter einem vorübergehenden Verlust seines klaren Verstands, der ihm hinterher ganz unerklärlich vorkam, nahte er sich den tönenden Blumen.
Er blieb stehen, als er den Abstand zu den Blumen, betört wie er war, noch immer für sicher hielt. Nun erblickte er die halb menschlichen Gesichter der Vampire, die sich ihm in anstößiger Aufforderung entgegenreckten. Und da erst, als er ihre sonderbar schräg sitzenden, opalfarbenen Augen sah, gleich länglichen Tropfen giftigen Taus, das schlangengleiche, bronzegrüne Gelock ihres Haars und die helle, tödliche Scharlachröte ihrer Lippen, die sogar beim Singen leise lechzten – da erst erkannte er die drohende Gefahr. Doch nun war es zu spät. Er vermochte das Zaubernetz, das sie um ihn gewoben hatten, nicht mehr abzuwerfen. Blitzschnell streckten sich die bleichen, eingerollten Ranken einer der Blumenfrauen aus, schossen in ganzer Länge vor und umschlangen Maal Dweb. Seiner Gegenwehr zum Trotz wurde er zum Lager der Vampirin hingezerrt.
Im Augenblick seiner Gefangennahme verstummte der Gesang der Sippschaft. Stattdessen begannen die Geschöpfe, kleine Triumphschreie auszustoßen, die schrill und zischend klangen. Ein Murmeln der Erwartung, gleich dem Knistern hungriger Flammen, verriet die Hoffnung jener Vampirfrau, die der Beutemacherin benachbart war, am Jagdglück ihrer Schwester teilzuhaben.
Maal Dweb hingegen fand jetzt Gelegenheit, seine Fähigkeiten einzusetzen. Unerschrocken und ohne Furcht betrachtete er die liebreizende Vampirblume, die ihn bis zum Rand ihres samtweichen Lagers gezogen hatte und ihre unheilvoll geteilten Lippen schmachtend auf ihn zubewegte.
Mittels einer Hellsicht, die zu den Grundlagen seines Berufs gehörte, verschaffte er sich einige Kenntnis bezüglich der Vampirin. So erfuhr er den eigentlichen, den geheimen Namen, den dieses Wesen mit allen Übrigen seiner Art gemein hatte. Alsdann sprach er diesen Namen mit fest, aber freundlich klingender Stimme laut vernehmbar aus. Hierdurch gewann er dank eines Elementargesetzes der Magie Macht über die Vampirin, die ihn eingefangen hatte, wie auch über ihre Schwestern.
Er spürte sofort, dass die Ranken sich lösten. Verwunderung und Furcht traten in die fremdartigen Augen der Blumenfrau, und sie wich zurück wie eine in Schreck versetzte Lamia. Doch Maal Dweb bediente sich ihrer eigenen, halb artikulierten Sprechlaute und redete besänftigend und trostvoll auf sie ein. Binnen Kurzem stand er mit der gesamten Schwesternschaft auf freundschaftlichem Fuß. Diese schlichten und naiv gearteten Geschöpfe vergaßen ihre vampirischen Vorsätze ebenso wie ihre Überraschung und ihre Verwunderung. Sie schienen den Magier etwa auf die gleiche Weise hinzunehmen, wie sie auch die drei Sonnen und die
Weitere Kostenlose Bücher