Das Labyrinth des Maal Dweb
Menschenkopf und Menschenarme voll entwickelt zu sein schienen, aber noch nicht die Größe eines Erwachsenen aufwiesen.
Der Entwicklungsprozess schritt voran. Zugleich erschienen wollartige Fäden auf dem Rumpf, den Armen und Beinen, als werde der Körper zügig in einen riesenhaften Kokon eingesponnen. Hände und Hals blieben frei. Doch um die Füße bildete sich ein andersartiger Überzug, der grünem Leder immer mehr ähnelte. Als das Kokongespinst dichter und dunkler wurde und einen eisengrauen Farbton sowie leidlich modegerechte Umrisse annahm, wurde offensichtlich, dass sich die Gestalt in Kleider hüllte, so wie die Männer von der Erde sie trugen – vermutlich, um menschlichen Vorstellungen von Sittlichkeit zu genügen.
Ein unglaublicher Anblick! Und seltsamer und noch unfassbarer als alles andere war, wie vertraut das Gesicht der noch immer wachsenden Gestalt Gaillard und seinen Gefährten allmählich vorkam. Gaillard hatte das Gefühl, in einen Spiegel zu blicken, glichen doch das Gesicht in allen wesentlichen Merkmalen seinem eigenen! Die Kleider und Schuhe boten naturgetreue Nachbildungen derer, die er selbst trug. Bis hin zu den Fingerspitzen glich jedes Glied und jeder Körperteil dieses außerordentlichen Geschöpfs seinen eigenen!
Die Wissenschaftler erkannten, dass der Wachstumsprozess offenbar abgeschlossen war. Die Gestalt stand vor ihnen, mit geschlossenen Augen und einer etwas leeren und ausdrucklosen Miene, ähnlich jemandem, der noch nicht erwacht ist. Noch immer blieb sie mittels einer dicken Ranke mit dem atmenden, gebirgsgroßen Auswuchs verbunden. Und diese Ranke entsprang der Basis des Gehirns wie eine eigentümlich fehlplatzierte Nabelschnur.
Die Gestalt schlug die Augen auf und richtete einen langen, festen, rätselhaften Blick auf Gaillard, wodurch sich der Schock und die Benommenheit, die jener empfand, nur noch vertieften. Diesem Blick standzuhalten, erfüllte Gaillard mit dem unheimlichsten Gefühl, das man sich überhaupt vorstellen kann – mit dem Gefühl, dem eigenen Alter Ego gegenüberzustehen, einem Doppelgänger, dem zugleich die Seele oder der Geist einer außerirdischen und gewaltigeren Wesenheit innewohnt. Die abgründigen Augen erweckten dieselbe Empfindung eines tiefen und wunderbaren Mysteriums in ihm, das bereits die riesigen Sehorgane aus Tau oder Kristall im Haupt der Pflanze hervorgerufen hatten.
Die Gestalt hob ihre rechte Hand und schien ihn zu sich zu winken. Gaillard schritt langsam vorwärts, bis er und sein übernatürlicher Doppelgänger einander Auge in Auge gegenüberstanden. Sodann legte das sonderbare Wesen die Hand auf seine Stirn, und vom nämlichen Moment an schien es, als unterliege Gaillard einem hypnotischen Bann. Fast ohne sein willentliches Zutun, und zu einem Zweck, den zu begreifen ihm noch verwehrt blieb, begann er zu sprechen – und die Gestalt sprach seine Worte nach, wobei sie jede Einzelheit seines Tonfalls und seines Sprechduktus exakt nachahmte.
Zahlreiche Minuten verstrichen, ohne dass Gaillard begriff, was es mit dieser eigenartigen Zwiesprache auf sich hatte. Doch dann wurde sein Sinn wieder klar, und er erkannte, dass er der Gestalt Unterricht in englischer Sprache erteilte! In einem steten, ununterbrochenen Strom floss ihm der Hauptwortschatz des Englischen von den Lippen, ebenso die grammatikalischen Regeln. Und irgendwie, dank eines Wunders übermenschlicher Intelligenz, wurde alles, was er sagte, von seinem Gesprächspartner verstanden und verinnerlicht.
Dieser Vorgang musste Stunden beansprucht haben. Mittlerweile neigte die Sonne des Mars sich den ausgezackten Wällen aus Laubwerk entgegen. Benommen und erschöpft begriff Gaillard, dass der Unterricht beendet war, denn das Wesen löste die Hand von seiner Stirn und redete ihn in kultiviertem, wohlklingendem Englisch an:
»Sei bedankt. Ich habe alles gelernt, was ich zum Zweck sprachlicher Verständigung wissen muss. Wenn du und deine Kollegen mir nun zuhören wollt, werde ich alles erklären, was euch vor Rätsel gestellt hat, und die Gründe erläutern, warum ihr von eurer eigenen Welt zu den Ufern eines fremden Planeten gebracht wurdet.«
Wie traumgefangen und kaum fähig, zu glauben, was ihre eigenen Sinne ihnen an Fantastischem zumuteten, jedoch ohne es leugnen oder abtun zu können, lauschten die Männer, während Gaillards staunenswerter Doppelgänger fortfuhr:
»Das Wesen, durch welches ich zu euch spreche und das ich einem Mitglied eurer Gruppe nachempfunden
Weitere Kostenlose Bücher